Hunderte Fürbitten sind von Gläubigen letzten Sonntag in den Himmel geschickt worden. Gott möge sich der unschuldigen Menschen im Kosovo annehmen, er möge die Sprache der Waffen zum Verstummen und der Sprache von feindlichen Verhandlungen zum Durchbruch verhelfen. Viele werden, wenn sie der Bitte das üblich „Wir bitten dich, erhöre uns“ angefügt haben, eher ein Gefühl der Ohnmacht empfunden haben. Keine Bombe wird deshalb weniger vom Himmel fallen. Kein Akt der Brutalität wird unterbleiben. Auch Marcel Callo war eines der Opfer. Am Ende der Kraft starb er zwei Monate vor Kriegsende. Ist es ein erbarmungsloser Gott, der einen seiner Besten, dem erbärmlichen Tod überließ? Was hätte ein Mensch wie er noch tun können in der Aufbauzeit? Dennoch: Nicht das Gedenken an die Schergen, die ihn am 19. April 1944 verhaftet haben, steht im Mittelpunkt heutigen Gedenkens. An den Taten der Täter ist nichts Großartiges, mögen sie sich noch so mutig vorgekommen sein und sich als Sieger gefühlt haben. Sie lebten im Gefühl der Macht, nicht im Schatten der Ohnmacht. In Wirklichkeit haben sie das Großartige, den Glauben dieses schmächtigen Franzosen namens Marcel, erst recht sichtbar gemacht. Keine Verherrlichung des Leides ist angebracht. Aber die Ahnung, daß Gott und die von Gott geschenkte Liebe nicht einfach auszulöschen sind, soll nicht verschwiegen werden. „Wir bitten dich, erhöre uns“ heißt wohl zuerst: „Wir wissen, daß du auf der Seite der Opfer stehst, mehr und entschiedener, als wir selbst es vermögen.“