Es ist bekannt, dass sich das Lächerliche sehr oft zum Erhabenen gesellt. So geschehen beim Stück „Der Tod des heiligen Aloisius“. Der Herr Pfarrer hieß nämlich Alois und das Theaterstück des Kindergartens wurde zu seinem Namenstag aufgeführt.
Das fünfjährige Pfeifhofer-Tonele lag als heiliger Aloisius im Bett und rang mit dem Tod. Zwei Freunde kamen auf Besuch, der Walter und das Loisele betraten das Krankenzimmer und blieben betroffen stehen. „Ich glaube, er wird bald sterben“, deklamierte das Loisele ohne besondere Gefühlsbewegung. „Das glaube ich auch“, sekundierte der Walter im gleichen Tonfall. Damit war der Dialog in dieser Szene beendet, der Rest war Handlung.
Hinter dem Sterbebett war eine Stoffwand, über der das Nannele und die Stefanie als zwei kleine Engel mit Flügeln erschienen – ganz ähnlich wie auf dem berühmten Gemälde von Raffael. Aloisius hauchte also seine Seele aus. Sterbend hob er ein wenig die Bettdecke und seine Seele kam in Form einer ausgestopften Taube hervor und schwebte himmelwärts, weil die beiden Engel an einem unsichtbaren, dünnen Draht zogen. An sich war das sehr feierlich. Der sterbende Aloisius blinzelte der Seele nach . . .
Aber dann kam das Verhängnis im wahrsten Sinn des Wortes. An einem Haken, der in der Mitte des Paravents war, verhängte sich die Seele des Heiligen. Die Engel zogen und rissen, die Taube ließ ein paar Federn, aber die Seele des Aloisius wollte partout nicht in den Himmel. Da war nichts zu machen. „Schwester Roberta, es geaht nit!“, rief der Engel Nannele weinerlich in reinem Innsbruckerisch, das Burgtheaterdeutsch unter dem Eindruck dieses Schocks vergessend. Darauf tauchte hinter den beiden Engeln die gestärkte Haube der Kindergartenschwester auf, die als rettender Engel zur Taube hinuntergriff und die Seele des heiligen Aloisius endgültig in die ewige Seligkeit holte. Dieses ergreifende Heilsgeschehen wurde auf Erden vom Publikum mit einem unterdrückten Gekicher begleitet. Der Vorhang fiel. Und der heilige Aloisius genoss nach diesen Aufregungen mit seinen beiden Freunden und den Engeln im Künstlerzimmer den verdienten Himbeersaft. Das Sterben ist auch bei Heiligen nicht leicht!
Von besonderer Feierlichkeit war das Weihnachtsspiel. Vor dem Heiligen Abend musste man im Kindergarten nicht um die rechte Stimmung besorgt sein. Besonders bewegend war das Hirtenfeld von Bethlehem, über dem sich der Vorhang öffnete. Die Hirten lagen wegen der kalten Nacht dicht gedrängt rund um ein verglimmendes Feuer, mit Taschenlampenglut unter ein paar Holzscheiten eindrucksvoll inszeniert, indes die Schwester hinter den Kulissen mit einer grün verhängten Lampe zartes Mondlicht über die Szene zauberte. Alles wartete auf das Auftreten des Verkündigungsengels. Da ertönte plötzlich ein fürchterliches Geheul. Der Hirt Seppi hatte den Hirten Franzi aus Übermut in den Hintern gebissen.
Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Wanderhirten von Bethlehem einer sehr niederen sozialen Schicht entstammten und nicht besonders kultiviert waren, war doch diese Einlage in der biblischen Vorlage der Aufführung nicht vorgesehen. Der Vorhang fiel über dem Theaterskandal und der Übeltäter wurde aus dem Ensemble entfernt. Als sich der Tumult gelegt hatte, öffnete sich wieder der Vorhang, die Engel erschienen und das „Gloria in excelsis Deo“ ging klaglos über die Bühne.
Auch mein erster Theaterauftritt war ein Fiasko. In der ersten Klasse der Bubenvolksschule wollte unser Lehrer „Rotkäppchen“ auf dem Podium vor der Tafel inszenieren. Er machte einen gravierenden Fehlgriff in der Besetzung. Er wählte mich als Rotkäppchen! Ich empfand diese Frauenrolle als zutiefst entwürdigend. Zu Hause, bei unseren Spielen, war ich ein Ritter, ein Räuber oder ein König oder eben irgend etwas Imponierendes mit Pappendeckelschild und Holzschwert – und nun dieses Engagement als Rotkäppchen! Ich war beleidigt. Der Herr Lehrer drückte mir ein Körbchen in die Hand und setzte mir ein rotes Käppchen auf (wahrscheinlich war dieses frühkindliche Trauma schuld, dass ich mich vor der Bischofsernennung so lange gegen eine ähnliche Ausstaffierung gewehrt habe.)
Ich stand also verstört an der Klassenzimmertür, während sich ein anderer Schüler unter dem Lehrerpult als Wolf verbarg. „Du musst jetzt hinübergehen zum Pult, wo der Wolf versteckt ist“, ermunterte mich der Lehrer. Aber ich folgte dieser Regieanweisung nicht. „Nein“, sagte ich patzig, „so blöd bin ich nicht!“ Damit war das Märchenspiel geplatzt. Wie will man Theater spielen, wenn sich Hauptdarsteller mit der Rolle partout nicht identifizieren?