In Linz leben viele auf der Straße. Einige haben sich dafür entschieden, die meisten aber können nicht anders. Doch sie sind nicht allein. Dietmar Mayr und sein Team besuchen wohnungslose Menschen. Die KirchenZeitung hat sie auf einer Tour begleitet.
Ausgabe: 2016/48
29.11.2016 - Christine Grüll
Herr Vinzent* kann in Menschen hineinsehen. Was er sieht, bereitet ihm Sorge. Seine eigene Aura möchte er rein halten, deshalb lässt er andere nicht gerne an sich heran. Doch bei Dietmar Mayr von der Wohnungslosenhilfe OBST ist das etwas anderes.
Psychisch krank
Es ist ein kühler Novembertag, an dem Dietmar Mayr und die Ärztin Maria Baumgartner auf der Linzer Landstraße unterwegs sind. Sie suchen Obdachlose. Herr Vinzent ist einer von ihnen. Er hat keinen Meldezettel, keine Wohnung und keine Versicherung. Im Büro von OBST – kurz für Obdachlosen-Streetwork des Vereins B37 – würde er all das erhalten. Dahin will er nicht kommen. Aber das Team lässt ihn nicht allein. „Ein Großteil der Menschen, zu denen wir Kontakt aufbauen, ist psychisch krank“, sagt Dietmar Mayr. Er leitet das kleine Team mit insgesamt vier Mitarbeiter/innen. Regelmäßig gehen sie das Gebiet der Linzer Innenstadt bis Urfahr ab, drehen ihre Runden am Bahnhof, schauen in Tiefgaragen und unter Autobahnbrücken und suchen nach Zeltbewohner/innen in den Traun-Auen. Sie kennen die Drogenabhängigen und Gewalttätigen und die gewaltlosen Verwirrten, die geschlossene Räume einfach nicht ertragen. So wie Herr Kurt*. Wie jeden Tag steht er an einer Hausecke in der Landstraße. Von 8 bis 20 Uhr, das befiehlt ihm eine Stimme in seinem Kopf. Auf das T-Shirt hat er sich die Zahl 1 mit Tixo geklebt. „Wie wär’s mit einer neuen Haube?“, fragt ihn Maria Baumgartner, und beide lachen. Die Haube ist schmutzig, aber das scheint Herrn Kurt nicht zu stören. Demnächst will ihm Dietmar Mayr einer wärmere Jacke bringen. Wenn manche der Obdachlosen sich schon nicht von der Straße wegbringen lassen, frieren sollen sie zumindest nicht.
Vertrauen gewinnen
Vor der Runde hat Maria Baumgartner schon einen Klienten behandelt. Im Aufenthaltsraum des Büros hat die Ärztin einen offenen Fuß gewaschen und frisch verbunden. Drei Mal im Monat begleitet sie das OBST-Team mit einem Rucksack. Darin hat sie Verbandszeug und Rezeptformulare, die sie direkt auf der Straße ausstellt. „Manche Menschen sind so hart, sie spüren sich oft selbst nicht mehr“, erzählt Maria Baumgartner, „aber wenn ich ihre Wunden verbinde, sind sie dankbar.“ Das Vertrauen der wohnungslosen Männer – Frauen leben selten auf der Straße – zu gewinnen, ist nicht einfach. Dietmar Mayr schafft es mit Humor. „Dich nehmen sie sowieso in keinem Gefängnis mehr“, sagt er im Gespräch mit einem Mann auf der Straße. Der lacht und nimmt einen Schluck von seinem Bier. Da läutet Dietmar Mayrs Mobiltelefon. Seine Kollegin berichtet, dass ein Klient schwer krank ist. Dietmar Mayr seufzt. Er weiß, dass dieser keine Hilfe annehmen wird.
Soziales Netzwerk
Die Sozialarbeiter/innen von OBST arbeiten mit wohlgesinnten Menschen in Krankenhäusern und auf Ämtern, mit Privatpersonen und Geschäftsleuten zusammen. Das soziale Netzwerk funktioniert gut. Und trotzdem hat Dietmar Mayr schon 100 Menschen sterben sehen, die sich dem System nicht anvertrauen wollten. Doch das Team schafft es immer wieder, Obdachlose von der Straße wegzubringen und ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen (siehe Randspalte). Auch wenn es Jahre dauert. „Es ist schon ein Erfolg, wenn mir einer ein Lächeln schenkt oder gar zu einem vereinbarten Termin kommt“, sagt Dietmar Mayr, zurück im Büro in der Starhembergstraße. Und er fügt mit Nachdruck hinzu: „Nach 30 Jahren Sozialarbeit arbeite ich immer noch gern. «