Vor 100 Jahren, am 1. Dezember 1916, wurde der Eremit Charles de Foucauld bei Tamanrasset in der südalgerischen Sahara ermordet. Der 2005 seliggesprochene Franzose ist einer der populärsten christlichen Gestalten des 20. Jahrhunderts.
Ausgabe: 2016/48, Charles de Foucauld, Sahara, Algerien, Frankreich, Kolonialmacht, Islam, Christentum, Einsiedler
29.11.2016 - Heinz Niederleitner
„Ich möchte alle Bewohner – Christen, Muslime, Juden – daran gewöhnen, in mir ihren Bruder zu sehen, den Bruder aller Menschen.“ Bis zu diesem Satz, den vielen Menschen mit ihm in Zusammenhang bringen, war der „Sahara-Eremit“ Charles de Foucauld lange unterwegs: 1858 als Adeliger in Straßburg geboren und früh verwaist, führt er als Offiziersschüler und dann als Offizier ein zügelloses Leben: Sein Erbe erlaubt ihm Ausschweifungen in vielerlei Hinsicht. Es ist dann eine ungebührliche Liebschaft, die seine Vorgesetzten zwingt, ihn wegen Disziplinlosigkeit aus der Armee zu entlassen. Gläubig war er da schon lange nicht mehr. Doch man kann es als wiedergefundene Loyalität interpretieren, dass er auf die Wiederaufnahme in die Armee drängt, als sein Regiment in Kämpfe verwickelt wird.
An Grenzen gehen
Er zeigt Haltung, doch die Aussicht auf das Kasernenleben lässt ihn die Armee schließlich doch verlassen. Man hat den Eindruck, dass der junge Mann seine Grenzen erfahren muss: Nur in der Gefahr, so scheint es, bekommt für ihn das Leben einen Sinn. Also sucht der von seiner Familie entmündigte Charles das Abenteuer: Marokko ist zu dieser Zeit ein für Europäer verschlossenes Land. Als Jude getarnt und in Begleitung eines Rabbiners wagt Charles 1883/84 eine Forschungsreise in dieses Land. Sein Buch darüber trägt ihm eine Goldmedaille der Französischen Geographischen Gesellschaft ein.
Doch Charles‘ Erfahrungen führen ihn in eine andere Richtung. In Marokko hat er gläubige Muslime gesehen, die sich fünfmal am Tag zum Gebet niederknieten. Charles fragt nun nach Gott. Auch, dass ihn Familienmitglieder trotz seiner Eskapaden aufnehmen, als er zurückkehrt, gibt ihm zu denken. Über ihre Vermittlung gerät er an Henri Huvelin. Der Priester wird den Weg des Charles de Foucauld vor allem in Briefen begleiten. Dieser Weg führt den jungen Mann zurück zur Kirche und in den Orden der Trappisten.
Doch selbst das Leben in einer syrischen Außenstelle des strengen Ordens ist ihm nicht hart genug. Er sehnt sich danach, in der Nachfolge Christi den „letzten Platz“ in der Gesellschaft einzunehmen. Eine Zeit als Dienstbote bei den Klarissinnen in Nazareth und Jerusalem weist ihm einen eigenen Weg: 1901 wird er in Frankreich zum Priester geweiht. Pro forma gehört er der Diözese Viviers an, er geht aber nach Afrika, nach Algerien: zunächst nach Beni Abbes, dann 1904 nach Tamanrasset im Hoggar-Gebirge.
Auch hier geht er an die Grenzen oder, wie Papst Franziskus vielleicht sagen würde, an die Ränder: Er möchte als Vorstufe zur Mission als Christ unter den Muslimen leben, hier möchte er der Bruder aller sein. Er sucht die Nähe der Menschen aus dem Stamm der Tuareg, hilft mit Essen und Medikamenten. Die Herzen der Menschen erreicht er vor allem, als er selbst schwer krank wird und sie ihm helfen.
Nicht durch Worte, sondern durch sein Leben will Charles den Boden für das Christentum bereiten. Auch für spätere Missionare erstellt er ein Lexikon der Tuareg-Sprache und hält ihre Dichtung schriftlich fest, übersetzt Bibeltexte. Er lebt in solidarischer Armut. Als im Zuge des Ersten Weltkriegs die Gegend unsicher wird, kommt es zu einem Überfall auf seine Einsiedelei, bei der Charles – offenbar ungeplant – erschossen wird.
Nachfolge und Kritik
Foucaulds Bemühungen um Gefährten waren zeitlebens nicht von Erfolg gekrönt. Dennoch ging seine Saat auf: Gott im Alltag zu dienen, das mühsame, einfache Leben der Mitmenschen zu teilen, wurde und wird als zutiefst christlich aufgefasst. Mehrere Gruppen und Gemeinschaften wie die Kleinen Brüder und die Kleinen Schwestern Jesu entstehen.
Mancher Aspekt von Foucaulds Wirken wäre heute zu hinterfragen: Unbestritten hat zwar seine Bekehrung etwas mit der Begegnung mit gläubigen Muslimen zu tun, und er hatte keine Berührungsängste, versuchte auch nicht, jemandem den christlichen Glauben aufzudrängen. Andererseits konnte er auch polemisch über den Islam und den zivilisatorischen Stand der Menschen um ihn herum schreiben. Zweideutig wurde von manchen späteren Autoren seine Beziehung zur französischen Kolonialmacht wahrgenommen: Er hat sie dafür kritisiert, die Sklaverei unter der Bevölkerung zu akzeptieren, und er hat Exzesse angeprangert. Aber er hatte auch gute Kontakte mit der Kolonialarmee.
Pionier
Allerdings ist manche Kritik an Charles de Foucauld nicht gerecht, weil sie weder Zeit noch Umstände ausreichend berücksichtigt. Foucauld war ein Pionier, wenn es um den Kontakt zum Islam ging. Er hat durch seine Form der christlichen Präsenz unter Muslimen den Weg für weitere Entwicklungen geebnet. Er war ein Mahner an überhebliche europäische Zeitgenossen, da er allen Menschen die gleiche Entwicklungsfähigkeit zusprach. Sein Grundanliegen, dass das Christentum am authentischsten ist, wenn es ehrlich und gegenüber allen menschenfreundlich, brüderlich gelebt wird, bleibt. «