Die heutige Jugend gilt bei vielen als eine „Generation der Egoisten“. Ist das wirklich so? Dem geht die Österreichische Pastoraltagung ebenso nach wie dem Thema Jugend und Kirche. „Jugend geht ab“ lautet der zweideutige Titel. Wir sprachen mit der Jugendleiterin Stefanie Poxrucker.
Ausgabe: 2012/02, Jugend, Studie, Jugendliche, Generation, Poxrucker, Medien, Sexualität, Kirche
23.01.2012 - Hans Baumgartner
Österreichs Jugend, eine Generation, die vor allem auf sich selbst schaut, auf den eigenen Vorteil, das eigene Fortkommen. Wie geht es Ihnen mit diesem Befund? Poxrucker: Ich bin erstaunt, was da alles über die jüngste Studie des Instituts für Jugendforschung berichtet wurde. Ich finde mich mit meinen 24 Jahren darin absolut nicht wieder. Und ich erlebe auch die Jugendlichen, mit denen ich arbeite (zwischen 13 und 22), anders. Es ist schon richtig, dass es für Jugendliche – heute vielleicht mehr als noch vor einigen Jahren – wichtig ist, etwas zu schaffen, in der Schule gut zu sein oder eine attraktive Lehrstelle zu finden. Aber das macht die jungen Leute noch lange nicht zu rücksichtslosen Konkurrenten; im Gegenteil, ich erlebe, wie wichtig ihnen Freundschaft ist, wie wichtig ihnen gute Beziehungen und Klassengemeinschaft sind, wie wichtig auch ein gutes Auskommen mit den Eltern bzw. der Familie. Allerdings mag es hier schon (noch) einen Unterschied geben zwischen Jugendlichen im ländlichen Raum und Jugendlichen in Großstädten (Studie: Wiener Jugendliche).
Stimmt der Eindruck, dass Jugendliche in vielen Bereichen wie Erfolg, Karriere oder auch Einstellung zu Ausländern ganz ähnlich ticken wie ihre Eltern? Die heutigen Jugendlichen sind keine „Rebellen“. Sogar in der Pubertät sind die Abgrenzungskonflikte mit den Eltern weniger heftig als früher. In der Regel haben Eltern zu ihren Kindern und umgekehrt recht gute, manchmal sogar freundschaftliche Beziehungen. Es ist längst nicht mehr uncool, wenn die Tochter mit der Mama einkaufen geht. Ich glaube, das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in einer unsicheren Zeit leben – politisch, wirtschaftlich, beruflich. Da sehen sich die Jugend- lichen in ihren Familien ganz gut aufgehoben. Das färbt auch auf die Werthaltungen und Lebenseinstellungen ab. Wenn manche erschrecken, wie Jugendliche über sich, das Leben und die Mitwelt denken, dann vielleicht auch deshalb, weil sie hier einen Spiegel vorgehalten bekommen, der recht ungeschminkt ihr eigenes (Erwachsenen-)Denken und Tun zeigt – wobei ich meine, dass Jugendliche da und dort die Dinge doch noch kritischer sehen.
Wo die Jugendlichen den Erwachsenen weit „voraus“ sind, das ist die Welt der neuen Medien. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Die neuen Medien gehören heute einfach zur Jugendkultur. So wie wir, wenn wir gerade vom gemeinsamen Fortgehen heimgekommen sind, mit der Freundin ewig telefoniert haben, trifft sich meine Schwester mit ihnen auf Facebook. Wenn gesagt wird, dass die Jugendlichen nur mehr „virtuelle“ Freund/innen haben und dabei vor dem Computer vereinsamen, dann betrifft das nicht die jungen Leute, die ich kenne. Sie wissen recht genau den Unterschied, was „Freunde“ auf Facebook sind, und was im realen Leben. Und wirklich pflegen und ernst nehmen tun sie – auch im Internet – jene Freundschaften, die ihnen auch im realen Leben wichtig sind, die Freunde und Freundinnen aus der Schule, dem Verein oder aus ihrem Dorf. Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Schulen, die selber zunehmend mit den neuen Medien arbeiten, mehr täten, um den Jugendlichen die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, vor allem, wo es um den Schutz der eigenen Person geht.
Jugend und Sexualität: Da scheint sich unter dem Einfluss neuer Medien eine Menge zu verändern. Was geht da wirklich ab? Ich erlebe manchmal eine Sprechweise, die wirklich schockierend, entwürdigend und sexistisch ist – eher unter jüngeren Jugendlichen. Und ich höre, dass man sich diese „Sprache“ vielfach aus Quellen im Internet aneignet. Es sind aber die Erwachsenen, die mit primitiven Raps oder Pornos Geld machen. Wenn man bei den Jugendlichen an dieser Ober- fläche allerdings etwas kratzt, dann kommen viel Unsicherheit, Fragen und auch ein Stück weit Scham zum Vorschein. So hart sie manchmal auch reden, es gilt unter Jugendlichen gar nicht so cool, wenn es heißt, der oder die hat viele Bettgeschichten. Im Gegenteil: Ich erlebe, dass die große Mehrheit der Jugendlichen im Umgang mit Freundschaft, Beziehung und Partnerschaft sehr verantwortungsvoll handelt – freilich ziemlich weit weg von kirchlichen Vorgaben, aber dennoch auf der ehrlichen Suche nach einem guten Weg. Das zeigt auch die Tatsache, dass bei den von der Katholischen Jugend angebotenen Orientierungstagen das Thema Sexualität und Beziehung das meistgewählte ist. Auch als Jugendleiterin werde ich immer wieder darauf angesprochen. Für mich ist das auch ein besonderer Vertrauenserweis.
Vor kurzem las man, die Jugend stehe wieder auf „alte“ Werte. Ist das so? Wenn „alte“ Werte jene sind, die von manchen Zeitgeistmedien schon zu Grabe getragen wurden, dann kann schon sein, dass es da bei der Jugend eine Auferstehung gibt. Ich erlebe gerade unter den jüngeren Jugendlichen, dass Werte wie Familie, stabile Beziehungen, Treue, Verlässlichkeit oder Freundschaft von hoher Bedeutung sind. Da gibt es – auch unter dem Eindruck unsicherer Beziehungen und Lebensverhältnisse – eine wachsende Sehnsucht; aber wichtig waren diese Werte Jugendlichen eigentlich auch früher.
Heute hört man immer öfter die beängstigte Klage von einer jugendlosen Kirche. Ist sie berechtigt? Wenn manche darüber klagen, dass man in der Kirche kaum mehr Jugendliche sieht, dann frage ich gerne nach: Sieht man denn deren Eltern? Tatsache ist doch, dass viele keinen Bezug mehr zum kirchlichen Leben haben, weil sie durch ihre Eltern da gar nicht mehr hineingewachsen sind. Gleichzeitig aber erlebe ich bei vielen Jugendlichen eine Sehnsucht nach Spiritualität; sie glauben an Gott, von dem sie oft ein eher unklares Bild haben, und sie suchen nach Halt und Sinn im Leben. Ich erlebe aber auch, dass sich viele Jugendliche nicht unbedingt Antworten von der Kirche erwarten. Kirche ist nicht cool – vor allem wenn junge Leute sie nur „von außen“ (Medien etc.) und nicht aus eigenem Erleben vor Ort wahrnehmen. Aber auch dort, wo sie mich als Jugendleiterin durchaus positiv sehen, höre ich immer wieder Vorwürfe wie: die Kirche interessiere sich kaum für die Lebenswelten Jugendlicher, sie habe kein Verständnis für sie; sie habe einerseits keine Ahnung, was da „abgeht“, komme andererseits aber immer mit Geboten und Ansprüchen daher.
Wenn man Ihnen zuhört, ist der Graben zwischen Jugend und Kirche doch ziemlich tief? Ich will da nichts schönreden: Es gibt diesen Graben, der durch manche Frusterfahrungen der vergangenen Jahre noch tiefer wurde. Anderseits gibt es auch viele Möglichkeiten und Formen, wie man als Kirche bzw. als Pfarre auf Jugendliche zugehen kann – und wo das auch gelingt. Das Entscheidende für mich ist, dass man einladend ist und dabei immer wieder versucht, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Talente der Leute anzusprechen.
Das klingt schön, aber wie schaut das in der Praxis aus? Es gibt verschiedene „Einstiegshilfen“, die es leichter machen, Jugendliche für eine KJ-Gruppe zu gewinnen oder für ein bestimmtes Jugendprojekt: Wenn Jugendliche über die Jungschar, über eine Ministrant/innengruppe oder über die Kinderliturgie schon positive Kirchenerfahrungen haben, ist schon ein Funke entzündet. Da gibt es schon eine Brücke. Gute Kontakte und Beziehungen lassen sich auch über Jugendtreffs, die oft gemeinsam von der KJ/Pfarre und der politischen Gemeinde betreiben werden, sowie über die Firmvorbereitung aufbauen. Man lernt die Leute kennen und kann sie dann auch gezielt ansprechen – etwa dass sie Jugendgottesdienste musikalisch gestalten, oder dass sie bei einem Projekt von „72 Stunden ohne Kompromiss“ mitmachen. Die große Zahl von Jugendchören und Bands, aber auch der Zuspruch, den Jugendtreffs, gut gestaltete Jugendliturgien, pfarrliche Jugendteams oder KJ-Gruppen – zumindest in unserer Diözese – immer wieder finden, zeigen: Dort, wo Kirche unter Jugendlichen präsent ist, wo sie jemanden haben, der/die sie versteht und ihnen Rede und Antwort steht über die eigene Hoffnung und den eigenen Glauben, dort wo ihnen Möglichkeiten geöffnet werden, mitzutun, da lassen sich Jugendliche auch ansprechen. Das pfarrliche Leben bietet viele Möglichkeiten, Jugendliche einzuladen, sie einzubinden und ihnen Platz zu geben.