Jelena Brajsa wird die „kroatische Mutter Teresa“ genannt
Ausgabe: 2004/21, Caritas, Zagreb,
18.05.2004 - Zvonimir Despot/Ingeborg Schödl
Ob als „Tante Jelena“ oder als „Mutter Kroatiens“ bekannt: Der Name Jelena Brajsa steht für Caritas-Arbeit in Zagreb. Lange Zeit jedoch war es für sie „verboten“, sich um elternlose oder behinderte Kinder anzunehmen.
Der Auftritt hätte einem Theaterregisseur nicht besser einfallen können. Da stürmt eine kleinere, etwas rundliche Frau mit einem Säugling im Arm in den Raum und erklärt dem verdutzt dreinschauenden Erzbischof: „Bitte, geben Sie entweder den Auftrag, mir weitere Räume für die Kinderstation zur Verfügung zu stellen oder die Erlaubnis, dieses Kind zu töten. Ich habe keinen Platz mehr, um es aufzunehmen.“ Nachdem sich Franjo Kuharic vom ersten Schock erholt hatte, meinte der Kardinal: „Jelena, ich habe immer gewusst, dass du etwas verrückt bist, aber so verrückt . . .“
Um das, was Jelena Brajsa in 38 Jahren aus dem Nichts heraus aufgebaut hat, zu erreichen, braucht es eben diese „Verrücktheit“. Wie sonst wären die ständig auftauchenden Schwierigkeiten zu meistern? Ziemlich bald würde kapitulieren, wer nicht mit solch großem Gottvertrauen an die Arbeit geht wie eben die tiefgläubige Jelena.
Ein Kind vor der Tür
Wer heutzutage in Kroatien von der Caritas spricht, denkt meistens in erster Linie an Frau Brajsa, die von 1966 an in Zagreb die Caritas aufgebaut hat und seither leitet. Zwar war kirchliche Sozialarbeit ab 1945 verboten – „in einem kommunistischen Staat gibt es keine Armen“ –, aber der Staat drückte ein Auge zu. „Jetzt bringen sie mir sogar schon junge Katzen“, dachte sich Jelena Brajsa. Denn ein Wimmern drang aus einer der Schachteln, die über Nacht vor der Caritasstelle abgelegt worden waren. Doch in einem der Kartons lag, in Zeitungen eingewickelt, ein blutverschmiertes Neugeborenes. Dieser 8. Juli 1969 wurde zum Anstoß für einen großen Auftrag. „Anscheinend war es die von Gott uns zugedachte Aufgabe, jene Kinder aufzunehmen, die niemand wollte. Damals habe ich mir ganz fest vorgenommen, jedes Kind aufzunehmen, das irgendwie an unsere Tür klopft“, erinnert sich Brajsa.
Seither zählt die Unterbringung verlassener und ausgestoßener Kinder zum Wahrzeichen der Caritas in Zagreb. Dort haben bis heute mehr als 3000 eine neue Heimat und in Jelena Brajsa eine neue Mutter gefunden. Einen weiteren Einschnitt, aber auch eine gewaltige Weiterentwicklung begann mit der Wende und der Gründung des unabhängigen Kroatiens. Das offizielle staatliche Verbot für die Arbeit von Jelena Brajsa und ihre Mitstreiterinnen wurde aufgehoben. Doch mit dem Krieg wurde deren Einsatz auf ungeahnte Weise auf die Probe gestellt. Sie leisteten einen großen Beitrag zur Unterbringung von hunderttausenden Kriegsopfern.
Unterstützung für diese Hilfe kam dabei aus Österreich. Die erste von mehr als 3600 LKW-Ladungen der Aktion „Nachbar in Not“ ging an die Caritas-Direktorin am Kaptol in Zagreb. Rückblickend sagt sie: „Ohne ,Nachbar in Not‘ hätten wir nicht durchgehalten.“
Nächstenliebe ohne Dekret
Zahlreiche Anerkennungen hat die couragierte Frau bisher erhalten, darunter auch die „Goldmedaille des Friedens und Humanismus“. In der Begründung heißt es, Frau Brajsa zeige durch ihre Arbeit, dass der Frieden zuerst im Herzen entsteht. Deshalb wird sie auch die „kroatische Mutter Teresa“ genannt, die ihr Herz hilfsbedürftigen Menschen schenke.
Ihre ganze Lebensauffassung steckt in jener kleinen Begebenheit, die Jelena Brajsa im Laufe des Gespräches schmunzelnd erzählt: Zu Beginn ihrer Arbeit fragte sie ein Prälat im Hof des erzbischöflichen Palais einmal herablassend, ob sie überhaupt ein Dekret für ihre Arbeit habe. Entwaffnend antwortete sie: „Ich bin getauft und gefirmt. Ich gehe zu den Sakramenten. Ich mache das, wozu ich als gläubige Christin verpflichtet bin – ich praktiziere die tätige Nächstenliebe. Wozu brauche ich da noch ein Dekret?“
Zur Person:
Jelena Brajsa wurde am 18. August 1935 als 13. Kind einer bekannten Juristenfamilie in Zagreb geboren. Bereits als Kind erlebte sie die kommunistische Verfolgung, ehe sie 1958 den Entschluss fasste, nach Wien zu gehen. Zunächst als Putzfrau tätig, besuchte sie das „Seminar für kirchliche Berufe“.Nach erfolgreichem Abschluss kehrte Brajsa 1966 nach Zagreb zurück, wo sie die Caritas gründete. Seither leitet sie die kirchliche Hilfseinrichtung, deren Tätigkeit bis 1990 vom Staat als „illegal“ betrachtet wurde. Brajsa und ihr Mann haben sechs zum Teil schwerbehinderte Kinder adoptiert.