„Laizistische Modelle sind zum Scheitern verurteilt“
Bestürzung herrscht weltweit über den Terror in Frankreich. Insgesamt 17 Menschen starben durch die Attentate der Islamisten. Der Innsbrucker Theologe Jozef Niewiadomski warnt dennoch davor, die Taten rein vor einem religiösen Hintergrund erklären zu wollen.
Ausgabe: 2015/3, Paris, Solidarität, Charlie Hebdo, Steinhäusler
13.01.2015 - Susanne Huber
„Unendliche menschliche Grausamkeit“ spreche aus dem Terrorismus, sagte Papst Franziskus. „Beten wir für die Opfer dieser Grausamkeit. Und beten wir auch für die Grausamen, dass der Herr ihre Herzen verändere“, so Franziskus.
Solidarität
In Frankreich sind am Sonntag fast vier Millionen Menschen auf die Straßen gegangen, um ein Zeichen gegen den Terrorismus zu setzen. Auch in vielen anderen europäischen Großstädten, darunter Wien, solidarisierten sich Zehntausende Menschen mit den Anschlagsopfern. Zeitungen rund um den Globus bekundeten nach dem Angriff ihre Solidarität. Die katholischen Bischöfe Frankreichs und Vertreter aller Religionen des Landes und darüber hinaus drückten ihre tiefe Betroffenheit über die Attentate aus. Zahlreiche Organisationen, darunter „Reporter ohne Grenzen“ (ROG), sind bestürzt über den Angriff auf „Charlie Hebdo“. Dieser „markiert einen schwarzen Tag für die Pressefreiheit in Europa“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
Hintergrund
Am Tag des ersten Anschlags erschien in Frankreich der islamkritische Roman „Unterwerfung“ des Schriftstellers Michel Houellebecq. Für „Charlie Hebdo“ war das der Anlass, den Autor auf das Cover ihrer aktuellen Ausgabe zu bringen. Zudem ist auch ein Cartoon eines islamistischen Terroristen zu sehen mit dem Spruch „Noch immer kein Attentat in Frankreich, aber man darf sich ja bis Ende Jänner was wünschen.“ In den vergangenen Jahren ist „Charlie Hebdo“ u. a. wegen provokativer Mohammed-Karikaturen oft in Kritik geraten. 2011 wurde infolgedessen ein Brandanschlag auf die Pariser Redaktion verübt. Seither steht sie unter Polizeischutz. Es gab auch stets Morddrohungen gegen Mitarbeiter. Nach der blutigen Attacke, bei der zwölf Menschen getötet wurden, machen die verbliebenen Mitarbeiter weiter.
Jüdische Opfer
Zeitgleich mit der Verfolgung der Täter, die in der „Charlie Hebdo“-Redaktion zugeschlagen hatten, nahm ein weiterer Attentäter Geiseln in einem jüdischen Supermarkt. Dabei starben vier jüdische Männer. Die Tatsache, dass dieser Anschlag zunächst im Schatten des Attentats auf die Satirezeitschrift stand, rief zahlreiche Kritik hervor: Es sei kein Zufall, dass es jüdische Opfer gegeben habe. In dem Supermarkt hätten zu dem Zeitpunkt die Menschen ihre Einkäufe für den Sabbat erledigt.
Ursachen für Radikalisierung
Der Innsbrucker Dogmatiker Jozef Niewiadomski warnt davor, die Taten rein vor einem religiösen Hintergrund erklären zu wollen. Das greife zu kurz und nehme die soziale und kulturelle Situation vieler Migranten im laizistischen Frankreich nicht ernst, sagte der Theologe gegenüber „Kathpress“. Um solchen Gewaltphänomenen entgegenzutreten, müssten zunächst die „realen Ursachen“, die der Nährboden für Radikalisierungen sind, benannt werden: „Die triste wirtschaftliche Situation vieler Migranten, ihre mangelhafte Integration und die geringen Chancen, diesem Elend zu entkommen“. Reale Probleme, wie „die nicht vorhandene Integration von Migranten oder das Auseinanderklaffen im sozialen Status zwischen Migranten und Nichtmigranten“, könnten nur über eine Kultur, „die gegenseitig von Achtung und Solidarität“ getragen ist, aufgelöst werden.
Lage in Österreich
Laizistische Modelle wie in Frankreich, die Religion vollkommen in den Privatbereich abdrängen, seien zum Scheitern verurteilt, „denn sie schaffen es nicht, eine Religion wie den Islam zu integrieren“, sagt Niewiadomski. Die oft in Medien kolportierte Meinung, die Taten seien ein genereller Anschlag auf die Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa und eine Welle des Islam-Terrors könne Europa überschwemmen, teilt der Theologe deshalb nicht. Die Situation in Österreich sei noch einmal anders gelagert wie etwa in Paris oder Berlin. „Gelingt es aber nicht, Minderheiten in unserer Gesellschaft so zu integrieren, dass sie wirklich als wertvolle Bürger geachtet werden und die gleichen Aufstiegsmöglichkeiten haben, dann werden wir bald dieselben Probleme bekommen.“
Versagen des Dazugehörens
Ähnlich argumentiert auch Friedrich Steinhäusler, Experte für Risikoforschung und Universitätsprofessor für Physik und Biophysik an der Universität Salzburg. „Ich sehe in Österreich weder in der Politik noch in der Gesellschaft eine derartige Lagerbildung und auch kein derartiges provokatives Verhalten. Es kann von Abneigung und von Missbilligung die Rede sein, aber unsere Grundhaltung in der Gesellschaft ist doch eher auf ein Integrationsbemühen hin gerichtet.“ Dass junge Europäer, auch aus Österreich, vermehrt als Gotteskrieger im syrischen Bürgerkrieg kämpfen, führt der Sicherheitsexperte auf ein Versagen des Dazugehörens zurück. „Wenn junge Leute sich nicht unserer Gesellschaft zugehörig fühlen, aus welchen Gründen auch immer, dann suchen sie irgendwo ein Zuhause. Und wenn im Extremfall Islamisten so ein Zuhause bieten, dann kann das dazu führen, dass sich Menschen so einem radikalen Weg anschließen. Wenn diese Personen in unsere Gesellschaft zurückkehren, besteht die Gefahr, dass sie sich aufgrund von Kampferfahrungen noch weiter entfernt haben, als vor der Abreise, sie einen gewissen Groll gegen den Westen entwickelten und erneut nicht integriert sind. Da sehe ich sehr wohl für Europa eine Gefahr.“
Provokation
Sicherheitsexperte Friedrich Steinhäusler vermisst in der aktuellen Diskussion rund um den Anschlag auf die Satirezeitschrift in Paris den Aspekt des Anstands und Respekts „der anderen Seite gegenüber, egal wer jetzt die andere Seite ist. Es sind Karikaturen, die sich auf einem religiösen, sehr sensitiven Gebiet begeben, wo jetzt offensichtlich die rote Linie überschritten wurde. Der Brandanschlag, der 2011 bei ,Charlie Hebdo‘ in Folge von Mohammed-Karikaturen passiert ist, war meiner Ansicht nach bereits ein Warnzeichen. Doch die Veröffentlichungen haben nicht aufgehört. Ich sehe darin eine Reaktion auf eine kontinuierliche Provokation. Doch das rechtfertigt natürlich keine Morde.“