Der Philosoph und Theologe Hans Schelkshorn gehört zu jenen, die am deutlichsten vor einer „Neuen Rechten“ in Europa warnen. Das Christentum soll nicht noch einmal zum Komplizen autoritärer Systeme in Europa werden.
Ausgabe: 2017/01
03.01.2017 - Matthäus Fellinger
Wen meinen Sie mit den „Neuen Rechten“ in Europa und in Österreich?Hans Schelkshorn: Den Kern der „Neuen Rechten“ bilden die Front National, die niederländische Freiheitspartei von Geert Wilders, die Lega Nord, der Vlaams Belang und nicht zuletzt die FPÖ. Diese Parteien bilden seit 2016 eine eigene Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ im Europäischen Parlament. Zur Neuen Rechten zählen aber auch Parteien wie die Schweizerische Volkspartei (SVP) oder die AfD in Deutschland. Die Ideologie der Neuen Rechten ist inzwischen weit in christlich-konservative Parteien eingesickert. So ist nach Le Pen und Jörg Haider heute wohl Viktor Orbán, ein Christdemokrat, die zentrale Leitfigur neorechter Politik.
Sie haben die Positionen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als „postfaschistisch“ bezeichnet. Woran machen Sie diese Beschreibung fest? Schelkshorn: Die faschistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert bekämpften die Demokratie im Namen einer rassistischen Ideologie. Im Unterschied dazu bekennen sich neorechte Parteien zwar zu Demokratie und Menschenrechten, sie stellen jedoch ihre eigene ethnische Idee von „Volk“ über die universellen Menschenrechte. Damit höhlen sie den demokratischen Rechtsstaat von innen her aus. Für Viktor Orbán sind die Menschenrechte „nette Sachen“ von zweitrangiger Bedeutung. Der westlichen Demokratie stellt er in aller Offenheit einen „illiberalen Staat“ gegenüber. Diese Ideologie bezeichne ich als „Postfaschismus“. Und sehen Sie solche Tendenzen auch in Österreich?Schelkshorn: Es geht nicht nur um Tendenzen. Viktor Orbán verwirklicht in gewisser Hinsicht Jörg Haiders Vision einer Dritten Republik, die auf ethnischen Prinzipien aufbauen sollte. Die FPÖ hat daher Orbáns Verwirklichung eines „illiberalen Staates“ stets befürwortet. Bedenklich ist, dass auch Teile der ÖVP und der CSU sich von der autoritären Politik von Orbán offenbar nicht distanzieren können.
Was ist das Gefährliche an neorechter Politik?Schelkshorn: Das Gefährliche ist der Abbau des demokratischen Rechtsstaates und die Errichtung eines autoritären Systems, wie wir dies derzeit in Ungarn und inzwischen auch in Polen anschaulich beobachten können. Da neorechte Parteien Demokratie und Menschenrechte nicht kategorisch ablehnen, bleibt vielen Menschen deren Bedrohung für die Demokratie verborgen. Darin liegt vielleicht die größte Gefahr.
Der Bundespräsidentenwahlkampf zeitigte ein Buhlen um die christliche Wählerschaft. Wie passen neorechte Positionen und Christentum zusammen – oder nicht zusammen?Schelkshorn: Neorechte Positionen stehen zum Kern der christlichen Moral in einem offenen Widerspruch. Denn die christliche Nächstenliebe bezieht sich nicht, wie neorechte Politiker immer wieder lauthals verkünden, auf den Nächsten, das heißt den Volksgenossen („Österreich zuerst“), sondern auf Menschen, die in Not sind, unabhängig davon, welchem Volk oder auch Religion sie angehören. Dennoch gibt es seit vielen Jahren Allianzen zwischen neorechten Parteien und (ultra-)konservativen christlichen Kreisen. Sie verbindet ein patriarchales Familienbild und die Sympathie für einen autoritären Staat.
Die katholische Kirche in Österreich hat im Mariazeller Manifest 1952 ihre parteipolitische Unabhängigkeit festgehalten – und sich seither parteipolitisch relativ neutral verhalten. Ein Kurs, der überdacht werden sollte?Schelkshorn: Die Kirchen haben nach 1945 ihre gesellschaftspolitische Aufgabe zu Recht auf Grundsatzfragen beschränkt. Da jedoch neorechte Ideologien die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates aushöhlen, muss die parteipolitische Neutralität der Kirchen ernsthaft überdacht werden. Die Kirchen sollten einerseits in der Verteidigung der liberalen Demokratie eindeutig Stellung beziehen und andererseits die Pervertierung christlicher Moral durch neorechte Bewegungen in aller Entschiedenheit zurückweisen. Nur so kann verhindert werden, dass das Christentum am Beginn des 21. Jahrhunderts erneut zum Komplizen autoritärer Systeme in Europa wird. «
Am Di., 10. Jänner, 19 Uhr, spricht Dr. Schelkshorn an der Katholischen Privatuniversität Linz bei der „Severinakademie“ des Forums St. Severin über „Allianzen zwischen Christentum und neorechten Parteien in Europa” (19 Uhr).