Diese Pilger/innen berühren die mittlere Säule auf der linken Seite des Tors, manche küssen sie auch. Sie ist schon ganz abgegriffen, glänzt von den Abermillionen Händen, die sie im Laufe der Jahrhunderte berührt haben. Schaut man auf die Steinsäule merkt man, dass sie aufgerissen ist. Dieser Riss ist der Grund der Verehrung. Mit ihm verbindet sich eine wunderschöne Legende. Die griechisch-orthodoxen Mönche, die am heiligen Grab das Sagen haben, haben eines Tages die armenischen Mönche und Gläubigen von der Zeremonie des heiligen Feuers ausgeschlossen. Das ist bis heute der Höhepunkt des Auferstehungs-Gottesdienstes am Osterfest. Wenn der griechisch-orthodoxe Patriarch mit dem heiligen Feuer aus der Grabkammer kommt, bricht in der Kirche ein unbeschreiblicher Jubel los. Dann gibt es kein Halten mehr: jeder der Gläubigen will sein Kerzenbündel als erster an der neuen Flamme entzünden, denn das bringt besonderes Glück. Anschließend rennen vor allem die jungen Burschen wie verrückt durch die Stadt, um das heilige Feuer zu verteilen: um das Osterlicht in jede Kirche und jedes Haus zu bringen.
Die armenischen Gläubigen mussten also vor der Kirche stehen. Das Tor war für sie verschlossen. Keine Möglichkeit dabei zu sein, wenn das heilige Feuer durch ein Wunder wieder aufs Neue entflammt, keine Chance unter den glücklichen Ersten zu sein, die es erhalten. Doch es kam anders. In genau demselben Augenblick wie im heiligen Grab brach das heilige Feuer auch aus der Säule des Tors vor der Grabeskirche hervor: Das heilige Feuer ließ sich nicht einsperren. Das Osterlicht fand seinen Weg – auch zu denen draußen vor der Kirche. Weil es nicht anders ging, fingen eben die Steine Feuer. Der Riss in der Säule erinnert daran.
Das Osterfest, von dem man einst meinte es würde als besonders trauriges in die Geschichte eingehen, wurde zu einem, von dem man heute noch spricht. Das Licht der Auferstehung bahnt sich seinen Weg zu den Menschen: immer und überall.