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Ein Lied aus der Wachau / von der Donau, von der Donau / macht die Herzen jung und den Himmel blau / so wie in der Wachau“. Ohne die Landschaft kam der Heimatfilm nicht aus, wie diese Liedzeile aus dem Franz-Antel-Streifen „Vier Mädels aus der Wachau“ (1957) illustriert. Auch die Tourismuswerbung baute auf die Natur, auf Plakaten und auch im Lied: „Kennst du die Perle, die Perle Tirols / das Städtchen Kufstein, das kennst du wohl / umrahmt von Bergen, so friedlich und still: / ja, das ist Kufstein an dem grünen Inn.“
Landschaft ist aber mehr als das Verkaufsschlager-Sehnsuchtsbild des Tourismus. Sie prägte vor allem auch durch ihre tatsächlichen Gegebenheiten das Leben von Menschen. Diese wiederum haben nicht nur ihre Einstellungen gegenüber der Landschaft als Teil ihrer Identität gebildet und verändert, sondern auch die Landschaft selbst. Landschaft ist somit nicht nur Vorbedingung, sondern Teil der Geschichte.
Wie unterschiedlich das ausfallen kann, zeigt Ernst Hanisch, Professor in Ruhe an der Universität Salzburg, indem er anhand ausgewählter Quellen beschreibt, wie Menschen die Landschaft erfahren (haben). Das zeigt sich zum Beispiel an den Bergen: Für die frühen Alpinisten und Bergsteiger waren sie Symbole für Freiheit, Erhabenheit, Tapferkeit (bei der Besteigung), spirituelle Kraftquelle, etwas später auch der „Kameradschaft“. Dafür, dass es für Bergbauern und Senner/innen ein harter Lebens- und Arbeitsplatz war (dem man freilich dennoch Positives abgewinnen konnte), fehlt(e) oft der Blick.
Manche Landschaftserfahrungen, darauf weist Hanisch in seinem Buch immer wieder hin, hat man gerade nach 1945 bewusst beschwiegen, etwa die brutalen Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeitern beim Bau des Kaprun-Kraftwerks. Freilich: Verbrechen werden von Menschen begangen, nicht von der Landschaft – auch nicht in Mauthausen, das vor der NS-Zeit von Reisenden nur als „sehenswerter Ort“ gerühmt wurde (was er immer noch ist), seither aber untrennbar mit dem ehemaligen Konzentrationslager verbunden ist – das dort errichtet wurde, weil die Landschaft einen Granitsteinbruch und die Donau zum Transport hergab.
Hanisch schreibt am Anfang seines Buches, dass er nicht alle österreichischen Landschaften berücksichtigen könne. Das ist aufgrund der Vielfältigkeit Österreichs nachvollziehbar. Er konzentriert sich auf das 19. und 20. Jahrhundert und die großen Merkmale: Die Berge, die Donau, den Wald, die Ebene im Burgenland und die Industrielandschaft („Land der Hämmer“) am Beispiel des steirischen Erzbergs – eine schon rein optisch stark vom Menschen geprägte Landschaft, was im Übrigen auch auf die begradigten und (vermeintlich) eingehegten Flüsse zutrifft (siehe die Neue Donau bei Wien).
Solche Entwicklungen führen natürlich an vielen Orten zum Verlust des Ursprünglichen. Heute ist die Schutzbedürftigkeit von Natur und Landschaft eine allgemeine Wahrnehmung. Das war sie zwar nicht immer, doch erste Mahner gab es schon früh. Aufgrund der vielen anderen Interessen (Tourismus, Energiewirtschaft, Bergbau, Transit ...) war der Kampf um den Landschaftsschutz oft langwierig. Hanisch zeigt das unter anderem an der langen Vorgeschichte des Nationalparks Hohe Tauern. Am Beispiel des Widerstands gegen das Donaukraftwerk Hainburg Mitte der 1980er Jahre ist interessant, dass sich politisch sehr unterschiedliche Kräfte versammelten, die zwar nur das gemeinsame Ziel des Erhalts der Donau-Au einte – die aber dennoch Erfolg hatten. Fast vergessen ist die deutlich frühere Abwehr einer Staustufe bei Rossatz in der Wachau.
Freilich geht es in dem Buch nicht nur um die tatsächliche Landschaft, sondern auch um ihre Zuschreibungen (bzw. Konstruktionen), die besonders problematisch sind, wenn sie national oder gar rassistisch aufgeladen wurden. Da wurde aus dem Wald dann der „deutsche Wald“, die Berge wurden zu „deutschen Bergen“ und das Gebiet um den Neusiedler See zu „Großdeutschlands Seesteppe“ (unter Ausklammerung der ungarischen Vergangenheit und der kroatischsprachigen Volksgruppe).
Wie anpassungsfähig so mancher war, zeigt gerade die „Großdeutsche Seesteppe“. Das war der Titel eines 1938, also zu Beginn der NS-Zeit in Österreich erschienenen Buches des Zoologen Karl Mazek-Fialla. Die zweite Auflage von 1947 hieß dann: „Die österreichische Seesteppe“, auch Vorwort und Buchschluss waren neu. Tatsächlich schrieb Mazek-Fialla aber immer noch über dasselbe Stück Land! Dass er sich auch in der zweiten Auflage abwertend über Roma und Sinti äußerte, schockiert angesichts des damals eben geschehenen NS-Massenmordes an den sogenannten „Zigeunern“.
Zu der Gruppe, mit der manch Naturliebhaber seine geliebte Landschaft nicht teilen wollte, gehörten vor dem Zweiten Weltkrieg zunehmend die Juden, die konsequent aus immer mehr Sektionen des Alpenvereins hinausgedrängt wurden und denen Berghütten verschlossen blieben. Zu Abschottungen kam es aber auch in anderen Zusammenhängen: Der alpine (Massen-)Tourismus von Städtern erregte bei so manchem Dorfpfarrer die Angst vor einer Verwahrlosung der Sitten in der Landbevölkerung.
Für seine vielfältige Darstellung zieht Hanisch eine Reihe von Quellen heran: hohe (und nicht so hohe) Literatur, Erinnerungen, Gemälde, Werbeprospekte, Fotos, Filme, Liedtexte – auch die Landschaft selbst ist eine Quelle. In seiner Komplexität entzieht sich Hanischs Buch dem Zugang von alten Historikern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wo einfach von Landschaft und Klima auf den „Menschenschlag“ geschlossen wurde. Gleichzeitig bleibt aber stets deutlich, dass Geschichte in keinen leeren oder abstrakten Räumen stattfindet, dass die Akteure ihr landschaftliches Umfeld auch erfahren und damit geistig wie im Tatsächlichen umgehen. Und dass Landschaft auch Spuren der Erinnerung trägt.
Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte“ von Ernst Hanisch. Böhlau Verlag, 401 Seiten, 36 Euro.
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