Prophetinnen und Propheten: Menschen in einer „ver-rückten“ Welt
Ausgabe: 2001/49, Propheten, Bibel,
04.12.2001 - Christina Spaller
In der Bibel stellt sich nicht die Frage, „ob“ es einen Gott gibt, sondern „wer“ dieser Gott ist, dem sich eine Person oder ein Volk anvertraut.
Die Bibel unterscheidet zwischen dem Gott Israels, den Göttern und Göttinnen in seiner Umwelt und den Götzen. Israel – so erzählt die Bibel – hat sich für den Gott entschieden, der es aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit geführt hat. Am Sinai erhält Mose die Weisungen dieses Gottes, die dem Volk ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit garantieren. Israel verpflichtet sich darauf. Ein Bund wird geschlossen und das Gelobte Land in Besitz genommen. Noch vor dem Einzug wird das Volk ermahnt, angesichts veränderter Lebensumstände – von der Wüstenwanderung in ein kultiviertes Land – sich von den neuen Verhältnissen nicht verführen zu lassen und seinem Gott treu zu bleiben.
WER ist dein Gott?
Stellen wir uns vor, die Faszination des Neuen, die Fruchtbarkeit des Landes im Gegensatz zur Wüste oder einfache Glücksversprechungen gegenüber der Mühe solidarischen Handelns, rascher persönlicher Reichtum gegen Brot für alle . . . und schon verrutschen heimlich die Werte. Das Höchste und Wichtigste wird inhaltlich neu gefüllt. Noch ist er ihr Gott, doch nur mehr im Sprechen. Im Handeln erweisen sie einem anderen die Ehre.
Propheten und Prophetinnen treten auf. „Zum Prüfer für mein Volk habe ich dich bestellt; du sollst sein Verhalten erkennen und prüfen“ (Jer 6, 27). Ihre Aufgabe ist es, Israel an die Weisungen Gottes zu erinnern, über Israel zu wachen und zur Umkehr aufzurufen. „Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen“ (Ez 3, 17).Doch nicht sie allein treten auf. Das Amt der Hof- und Kultprophetie hat sich entwickelt. Es sind Propheten und Prophetinnen, die in Abhängigkeit leben und arbeiten. Soll ein Krieg geführt oder politische Angelegenheiten beschlossen werden, werden sie befragt. Sie sind es, die stets ein Heilswort für die Herrschenden parat haben und deren Ordnung als gottgewollt und heilsnotwendig darstellen. Der Applaus ist ihnen sicher.
Sie verkünden: Es wird dir gut gehen, auch wenn die Armut steigt, ein Krieg begonnen und die Arbeitsruhe der Feiertage nicht eingehalten wird, die Reichen bei Gericht übervorteilt werden, denn das Heil unseres Gottes ist mit dir. Oder: Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wenn die Börsenkurse und die Arbeitslosigkeit steigen, die politische Beteiligung sinkt, rassistische Haltungen salonfähig und die Medien auf Linie gebracht werden. Denn all dies geschieht zum Wohl der gesamten Menschheit.
Anders steht es um echte Prophetinnen und Propheten. Sie sind unbeliebt, weil sie den herrschenden Trends widersprechen. Sie kündigen bei deren Fortsetzung den Untergang an und rufen zur Umkehr auf. So ist zu hören: Es wird nicht gut gehen, wenn du deine Armen verachtest und keinen sozialen Ausgleich schaffst. Der Tod ist dir sicher, wenn du die Schöpfung verbrauchst. Du wirst die Rechnung für deine Bündnispolitik präsentiert bekommen. Es nützt dir nichts, wenn du den Namen Gottes auf den Lippen trägst, jedoch in deinem Handeln anderen Göttern und Götzen folgst.
Unterscheidung der Geister
Die Beurteilung aktueller Geschehnisse, Kritik und Bestärkung, Zukunftsprognosen, vorläufige Erfolge, düstere Worte, Parteilichkeiten . . . dies sind Elemente der prophetischen Szene. Und sie ist vielstimmig und widersprüchlich. Eine Unterscheidung der Geister ist angesagt. Denn nicht alle, die im Namen Gottes sprechen, sind dazu beauftragt. Kriterien zur Unterscheidung sind nicht immer einfach zu finden. Letztlich – so ist im Buch Deuteronomium zu lesen (siehe BedenkText) – wird die Geschichte entscheiden, wer Recht gesprochen hat.
BedenkText:
Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen, und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm auftrage. Einen Mann aber, der nicht auf meine Worte hört, die der Prophet in meinem Namen verkünden wird, ziehe ich selbst zur Rechenschaft. Doch ein Prophet, der sich anmaßt, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufgetragen habe, oder der im Namen anderer Götter spricht, ein solcher Prophet soll sterben. Und wenn du denkst: Woran können wir ein Wort erkennen, das der Herr nicht gesprochen hat?, dann sollst du wissen: Wenn ein Prophet im Namen des Herrn spricht und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann ist es ein Wort, das nicht der Herr gesprochen hat. Der Prophet hat sich nur angemaßt, es zu sprechen. Du sollst dich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen.