Kurienkardinal Kurt Koch aus Rom weist im Gespräch mit der KIZ auf die Bedeutung Luthers als spirituelle Gestalt hin und vergleicht die beiden Päpste Benedikt XVI. und Franziskus.
Ausgabe: 2013/36, Kardinal, Koch, Ökumene, Sommerakademie, Linzer Prieserkreis
03.09.2013 - Das Gespräch führte Josef Wallner
Das Lutherjahr 2017 steht an. Das ist eine Herausforderung für die Ökumene zwischen Katholiken und den Kirchen der Reformation. Was können Katholiken von Luther lernen? Kardinal Kurt Koch: Was wir von Luther lernen können, hat Papst Benedikt bei der Begegnung mit den Repräsentanten der Evangelischen Kirche Deutschlands in Erfurt sehr schön gesagt: Luther war ein Gottsucher. Wir müssen diese Zentralität der Gottesfrage wieder entdecken. Und zweitens: Luther hat nicht irgendeinen Gott gesucht, sondern den Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Die Konzentration auf die Gottesfrage und die Zentralität auf Christus hin scheinen mir die entscheidenden Punkte zu sein.
Es gibt schon einen langen Weg des Gesprächs mit der lutherischen Kirche. Dabei sind wichtige Dokumente entstanden, zum Teil auch sehr spirituelle Texte. Was kann man tun, dass diese Ergebnisse nicht verloren gehen? Das ist die ganz große Gefahr in der Ökumene: die Vergesslichkeit. Wir sind mit den Lutheranern seit fünfzig Jahren im Dialog. Heute droht vieles wieder in Vergessenheit zu geraten. Wir müssen das tun, was mein Vorgänger als Präsident des Einheitsrats, Kardinal Kaspar in seinen letzten Jahren getan hat: „Harvesting the fruits“, die Früchte sammeln, die Dialogtexte veröffentlichen, damit sie nicht mehr verloren gehen, sondern Wegweiser für die Zukunft bleiben.
Was ist der größte Dialogerfolg mit den Lutheranern? Die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Die hat einen besonderen Charakter, weil sie von den beiden Kirchenleitungen angenommen wurde, nicht nur von Experten.
Was wäre ein weiterer Schritt? Ich würde mir eine Erklärung anlog zur Rechtfertigungslehre über die großen Themen „Kirche, Eucharistie und Amt“ wünschen. Das wäre meines Erachtens ein weiterführender Schritt. Die Zeit, in der wir Papiere nur über Eucharistie oder nur über Amt gemacht haben, ist vorbei. Ich möchte das nicht mehr trennen.
Papst Franziskus ist ein Freund und exzellenter Kenner der Ostkirchen. Welche Impulse gibt er dem Dialog? Papst Franziskus möchte den Weg weitergehen, den Papst Benedikt eingeschlagen hat: dass wir den geschwisterlichen Dialog pflegen, dass wir herzliche und freundschaftliche Beziehungen haben. Das ist Papst Franziskus sehr wichtig. Ich habe ihn erlebt, wie er den koptischen Papst empfangen hat, wie er Repräsentanten aus der Orthodoxie empfängt, wieviel Zeit er sich dafür nimmt. Daneben muss natürlich auch der theologische Dialog weitergehen.
Eine Reihe der orthodoxen Kirchen haben ihre Zentren in arabischen Staaten, in der Region des „arabischen Frühlings“. Diese Kirchen leiden unter der politischen Situation. Ich habe Mühe, den arabischen Frühling überhaupt so zu nennen. Meines Erachtens ist daraus weithin ein islamistischer Herbst geworden. Trotz allem: der Dialog ist jetzt erst recht nötig. Vor allem brauchen die Menschen aber unsere Unterstützung. Achtzig Prozent aller Menschen, die aus Glaubensgründen verfolgt werden, sind Christen. Wir haben heute mehr Christenverfolgungen als in den ersten Jahrhunderten der Kirche. Das müsste die Solidarität unter den Christen noch ganz anders motivieren.
In den letzten Jahren erhalten die Freikirchen und die evangelikalen Gemeinschaften verstärkt Aufmerksamkeit. Man hat den Eindruck, die katholische Kirche spricht ganz gerne mit denen, weil sie bequeme Partner sind. Sie sind nicht bequemer. Einige der evangelikalen und pentekostalen Bewegungen sind antikatholisch und antiökumenisch. Diese Bewegungen sind zudem sehr heterogen. Doch wir versuchen mit allen ins Gespräch zu kommen. Die Pfingstkirchen und Freikirchen sind zahlenmäßig die zweitgrößte Gruppe von Christen nach der römisch-katholischen Kirche. Und sie wächst sehr schnell. Das ist eine große Herausforderung. Vor allem müssen wir uns als katholische Kirche die Frage stellen: Was ist mit uns los, dass so viele Gläubige unsere Kirche verlassen und zu diesen Bewegungen gehen?
Aber wo das Gespräch mit den Freikirchen besteht, gibt es Einigkeit im Verständnis der Bibel und in ethischen Fragen wie Eheverständnis oder Homosexualität ... Das trifft auf die evangelikalen Kirchen in Mitteleuropa zu. Da ist es in der Tat so, dass sie uns bei verschiedenen Fragen auf ethischem Gebiet näher sind als die großen evangelischen Kirchen.
Verstärken sie in Mitteuropa den Dialog mit den Freikirchen? Es ist vor allem der Wunsch der Evangelikalen, das Gespräch mit uns zu intensivieren. Sie erwarten sich Unterstützung in Fragen, die ihnen besonders am Herzen liegen. Das betrifft nicht nur die Ethik, sondern vor allem das Christusbekenntnis. Viele evangelikale Christen haben den Eindruck, dass das Christusbekenntnis heute in der katholischen Kirche besser aufgehoben ist, als in einigen evangelischen Kirchen.
Je länger die Dialogrunden dauern, desto weniger ist von Kircheneinheit die Rede. Sie scheint in weite Ferne gerückt oder gar kein Ziel mehr zu sein ... Heute wird Kircheneinheit vielfach nur noch als gegenseitige Anerkennung verstanden, so dass die Einheit in der Addition aller bestehenden Kirchen bestehen würde. Wir müssen uns neu darüber verständigen, wohin die ökumenische Reise gehen soll und muss. Für uns Katholiken bleibt das Ziel die sichtbare Einheit. Das ist der Auftrag des Herrn, der in seinem hohepriesterlichen Gebet betete, dass wir eins sein sollen, damit die Welt glaubt. Ein Gast aus Afrika hat mir kürzlich gesagt: Meinen Sie, das Christentum sei glaubwürdig, wenn uns von verschiedenen Bergen eine unterschiedliche Botschaft von Christus zugerufen wird? Gerade im Blick auf die Evangelisierung muss die Ökumene neue Zugkraft bekommen.
Waren sich die Kirchen über die Zielvorstellungen schon einmal einiger? Ja, ich denke schon, dass wir am Anfang der ökumenischen Bewegung und in der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils eine größere Gemeinsamkeit in der Zielvorstellung gehabt haben als heute.
Wie stellt sich für Sie die ökumenische Situation in Österreich dar? Ich sehe viele positive Initiativen und erlebe in Österreich eine große ökumenische Offenheit. Ich denke auch an das großartige Werk Pro Oriente, das Kardinal König gegründet hat. Pro Oriente leistet heute noch große Dienste in der Versöhnung und in den ökumenischen Beziehungen mit dem Osten.
Wie erleben Sie den neuen Papst Franziskus? Ich erlebe Papst Franziskus als eine sehr andere Persönlichkeit als Papst Benedikt. Trotzdem sehe ich eine grundlegende Kontinuität. Wenn sie beispielsweise auf das Interview schauen, das Papst Franziskus auf der Rückreise von Rio de Janeiro gegeben hat – das hätte auch Papst Benedikt geben können. Doch Papst Benedikt wäre dafür von verschiedenen Medien getadelt worden. Papst Franziskus ist dafür gelobt worden. Durch seine Art und Weise, wie er auf die Menschen zugeht, wie er sein Amt versteht, hat er einen großen Bonus. Aber ich bin überzeugt, wenn man entdeckt, was er wirklich denkt, wird vielleicht das Wohlwollen in der Öffentlichkeit nicht mehr so groß sein.
Es wäre schon Zeit gewesen, das zu entdecken. Bislang wird aber jede Aussage von ihm beklatscht. Das ist für mich auch ein Wunder. Ich denke beispielsweise an den Aufschrei nach der Rede von Papst Benedikt in Freiburg über Entweltlichung. Papst Franziskus hingegen sagt es noch deutlicher und man findet es gut. Vielleicht ist es die Art und Weise, wie Papst Franziskus das sagt, dass er Akzeptanz findet.
Im Oktober wird das Gremium zusammentreten, das Papst Franziskus zur Kurienreform eingesetzt hat. Was soll das Ergebnis sein? Im Beratergremium ist nur ein Mitglied, das im Vatikan arbeitet. Das finde ich hervorragend. So wird die Weltkirche besser präsent und die Synodalität gefördert. Darin besteht ein großes Anliegen von Papst Franziskus, und er wird es gewiss umsetzen.
Wird es Leute in der Kurie geben, die bremsen werden? Die gibt es immer. Aber ich kann sie nicht identifizieren. Für mich wäre es wichtig, dass sich in der römischen Kurie wieder alle neu auf den Auftrag zurückbesinnen, den sie haben. Es muss vor allem darum gehen, dass der Papst seinen Auftrag erfüllen kann. Der Papst steht selber wieder im Auftrag der ganzen Kirche, und die Kirche hat den Auftrag, das Evangelium zu verkünden. Wenn sich alle darauf zurückbesinnen, was der eigentliche Auftrag ist, dann kann es keine Frage sein, ob man bremsen soll oder nicht.
Sie haben bei der Sommerakademie in Aigen über Jesus Christus einen wissenschaftlichen Vortrag gehalten. Was bedeutet Ihnen persönlich, dem Christen Kurt Koch, Jesus Christus? Ich bin unendlich dankbar, Jesus Christus kennen zu dürfen, weil er für mich der beste und schönste Zugang zu jener Wirklichkeit ist, die wir Gott nennen. Ich bin dankbar, dass Christus mir hilft, Gott besser kennenzulernen: dass es vor allem ein Gott ist, der es gut mit uns meint, der uns Menschen liebt und nur das Beste für uns will, und dass er eine persönliche Sorge für uns Menschen hat. Ich bin dankbar, dass wir durch Christus persönlich in Beziehung mit diesem Gott treten und Gottes Antlitz kennen können.
Wie hat man sich einen Arbeitstag des Kurienkardinals Kurt Koch vorzustellen? Das ist sehr verschieden. Wenn ich in Rom bin, stehe ich vor allem für Gespräche und Treffen zur Verfügung und habe Sitzungen. Aber zu einem großen Teil bin ich nicht in Rom. Ich bin sehr viel unterwegs, weil man Ökumene nicht vom Schreibtisch aus organisieren kann. Ökumene vollzieht sich vor allem in Begegnungen.
Bei der Sommerakademie-Podiumsdiskussion „Zur Zukunft von Glaube und Kirche in Mitteleuropa“ sagte Kurt Kardinal Koch: Die Stimme der Päpste kann nur stark sein, wenn sie unterfüttert wird durch das Volk Gottes. In unseren Breiten Europas sehe ich da ein Problem. Wie schade, dass zum Beispiel die großartigen Impulse der Reden von Papst Benedikt XVI. so wenig aufgenommen werden. Wir dürfen stolz darauf sein, was das Christentum in Europa geleistet hat. Das ist großartig. Darum bin ich auch fest überzeugt: es wird kein christenfreies Europa geben. Wir erleben die Ruhe des Karsamstags. Es entsteht in der Stille – unbemerkt – viel Neues. Wir müssen die positiven Kräfte fördern, die Wachsen und Gedeihen ermöglichen. Wir dürfen mit Hoffnung in die Zukunft Europas blicken.
Zur Person
Papst Benedikt XVI. ernannte 2010 Kardinal Kurt Koch zum Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Koch ist damit weltweit für die Ökumene mit den christlichen Kirchen verantwortlich. 1995 wurde der heute 63-jährige Koch vom Basler Domkapitel zum Bischof des Bistums Basel gewählt. Er hat sich auch als Autor von über sechzig Büchern und Schriften einen Namen gemacht. Kardinal Koch war Referent bei der 25. Internationalen Sommerakademie des Linzer Priesterkreises in Aigen. Er sprach über „Gottes Antlitz in Jesus Christus schauen. Grundzüge einer existentiellen Christologie.“