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Zurzeit steht Verena Altenberger im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne, parallel dazu kommt der Kinofilm „Me, We“ in die Programmkinos.
Der Spielfilm „Me, We“ stellt den Begriff des Helden, der Heldin liebevoll infrage. Vier heldenhafte Menschen entschließen sich, andere zu beschützen. Wie wird man denn Held oder Heldin?
Verena Altenberger: Ich weiß gar nicht, was ein Held oder eine Heldin ist. An der Marie, die ich in diesem Film spiele, mag ich, dass sie ein guter Mensch sein will. Ich verstehe überhaupt nicht, dass manche Leute „Gutmensch“ als Schimpfwort benutzen. Niemand hat nur eine einzige, altruistische Motivation für das Tun. Aber das ist nicht schlimm, wenn das Ergebnis passt. Wenn es Egoismus ist, zu sagen: „Ich finde meine Bedeutung im Leben, indem ich ein anderes Leben verbessere“, dann ist das doch okay!
Marie möchte, wie jeder Mensch, gebraucht werden. Die vier Protagonist/innen verbindet, dass sie mehr für andere sorgen wollen als für sich selbst. Wie verhält sich das zueinander: Für sich selbst sorgen und für andere sorgen?
Altenberger: Ich hatte eine ganz tolle Lehrerin für dieses Thema, nämlich meine Mama, die mir etwas vorgelebt hat, was ich als positiven Egoismus bezeichnen würde. Sie hat gesagt: „Zuallererst musst du selber glücklich sein, dich selber lieben, was auch immer dazugehört. So wohnen, wie du willst, die Ausbildung machen, die du willst, die Form der Beziehung leben, die du willst – was auch immer. Denn nur, wenn du wirklich deine 100 Prozent bist, erst dann kannst du anderen wirklich helfen. In dem Moment, wo du von dir etwas wegnimmst, um jemandem anderen zu helfen, kann die Hilfe niemals so stark sein, wie wenn du aus deinem Vollen schöpfen und geben kannst.“ Ich glaube, das ist sehr sinnvoll, was sie mir da vorgelebt hat, und sehr wahr.
Sie gehen Ihren eigenen, sehr individuellen Weg und sind eine Frau, die gut für sich sorgen kann. Wie schaffen Sie es, Sie selbst zu bleiben?
Altenberger: Hm, ich habe eine gewisse Kompromisslosigkeit in mir, was das Verfolgen meiner Ziele und Träume angeht. Für manche heißt kompromisslos zu sein, über Leichen zu gehen. Das meine ich nicht! Ich versuche dabei, ein guter Mensch zu sein. Wenn ich einen Traum für jemanden anderen aufgeben würde, könnten wir beide nicht glücklich werden. In vielen Punkten muss ich das Gut zu mir selbst Sein aber noch üben. Mit dem Grenzensetzen zum Beispiel tue ich mir immer noch schwer. Da merke ich oft, dass ich noch die freundlich und höflich sozialisierte junge Frau bin, die eher kichert, wenn ihr etwas Unangenehmes passiert, statt zu sagen: „’tschuldige, das ist übergriffig!“
Sie verfolgen Ihre Träume kompromisslos. Aber wie finden Sie Ihren klaren Traum?
Altenberger: Der ist gar nicht so klar. Das ist etwas Intuitives. Ich habe keinen Zwei-, Fünf- oder Zehnjahresplan. Bei der Buhlschaft kann ich tatsächlich sagen, dass das ein sehr konkreter Kindheitstraum war, aber das hat mit dem Aufwachsen im Salzburger Land zu tun. Jeder kennt den Jedermann, jeder weiß, wer die Buhlschaft ist. Selbst die Leute, die noch nie im Theater waren, kennen das Stück und wissen, dass es jedes Jahr gespielt wird. Mit den Träumen ist es nicht so, dass ich eine Liste habe, was ich alles noch erreichen möchte, und wann, und was ich dafür tun muss. So funktioniert das nicht, es ist eher intuitiv. Vermutlich müsste ich korrekter sagen: Ich folge kompromisslos meiner Intuition.
Ist es Berufung?
Altenberger: Berufung finde ich interessant. Ich weiß nicht, ob ich daran glaube. Aber je mehr ich das Gefühl habe, am richtigen Ort zu sein, sei es in Salzburg oder bei Dreharbeiten wie für „Me, We“ oder „Die beste aller Welten“, desto leichter tue ich mir, mich wirklich zu entfalten.
Dort, wo Leichtigkeit zu spüren ist, ist der richtige Ort. Das ist eine Wechselwirkung ...
Altenberger: Ja, genau. Der Mut und das Selbstvertrauen wachsen in dem Moment, wo man angekommener ist als vorher. Das ist einerseits eine positive Wechselwirkung, andererseits ein Teufelskreis: Denn solange man nicht da ist, muss man ja trotzdem Mut aufbringen, sonst kommt man gar nicht hin.
Mit der Buhlschaft im Jedermann sind große Erwartungen verbunden. Wie ertragen Sie den Druck?
Altenberger: Im Vorfeld habe ich einen enormen Erwartungsdruck verspürt. Dann habe ich sehr genau überlegt, für mich selber und mit Menschen, denen ich vertraue: Was wäre für mich Scheitern? Am Anfang war ich so verblendet von Angst und Druck, da meinte ich, es wären schlechte Kritiken – dass alle schreiben, ich war nicht gut. Dann habe ich das hinterfragt: Ist schlechte Kritik Scheitern? Rechtzeitig vor Probenbeginn habe ich verstanden, dass es für mich nur Scheitern wäre, wenn ich mich als Mensch, als Frau, die Buhlschaft als Rolle und die Geschichte des Jedermann verraten würde. Aber wenn ich es schaffe, einzustehen für Rolle und Stück und für mich als Mensch und Frau, wenn ich weiß, dass ich gemacht habe, woran ich glaube, dann können von außen hundert Leute sagen, es war Scheiße. Das hat mir die Ruhe gegeben hinzuhören auf das, was ich wirklich machen will.
Sie haben sich die Kopfhaare abrasieren lassen.Ein biblisches Bild, das auch in Klöstern eine Rolle gespielt hat. Wie hat sich das angespürt?
Altenberger: Arg. Es gab verschiedene Phasen. Das Abschneiden selbst war unemotional, weil ich schon in der Filmrolle steckte. Ich habe es für den Kinofilm „Unter der Haut der Stadt“ gemacht, in dem ich eine Krebskranke spiele. Vier Tage vor Drehbeginn habe ich die Glatze rasieren lassen, da war ich schon ganz gefangen von meiner Rolle. Vier Tage nach dem letzten Drehtag hatten wir bei der Diagonale in Graz Premiere von „Me, We“. Da stand ich im Hotel, zog mir ein Sommerkleid an, schaute in den Spiegel und erschrak. Oh, ich habe ja eine Glatze! Das war das erste Mal, dass ich verstanden habe, dass ICH jetzt eine Glatze habe. Und ab da hat das etwas mit mir gemacht. Ich bin nie mit Kopfbedeckung rausgegangen, immer mit der Glatze. Und ich habe bemerkt, dass das etwas mit meiner Weiblichkeit gemacht hat, oder mit meinem empfundenen Kern davon. Meine Mama hatte vor ihrem Tod Chemotherapien, und als sie eine Glatze hatte, war sie wunderschön. Sie selbst sagte aber, dass sie sich weniger wie eine Frau fühlt – das konnte ich nicht verstehen. Jetzt habe ich ein bisschen davon mitbekommen. Ob das einfach Sozialisierung ist, weil es gelernt ist, dass eine Frau lange Haare hat, oder ob das aus mir kommt, weiß ich nicht – oder ob man das überhaupt trennen kann. Ich muss aber wirklich sagen, dass mir von Männern unfassbar viel Aggression entgegenkommt.
Unglaublich! Ihnen steht dieser Stil. Ich dachte, die Rasur wäre für den Jedermann. Die Inszenierung bricht ja Geschlechterklischees auf.
Altenberger: Es hatte nichts mit dem Jedermann zu tun. Aber Regisseur Michael Sturminger war sofort begeistert und Jedermann Lars Eidinger auch. Im größeren Umfeld ging man zuerst fix davon aus, dass ich mit Perücke spielen würde. Ich war offen für eine Perücke, wir haben auch viel mit Perücke geprobt. Mir war nur wichtig, dass es nicht fix ist, dass ich mit Perücke spielen muss. Wir haben erst vier Tage vor der Premiere entschieden, dass es ohne Perücke sein wird. Es ist stimmiger ohne die „Verkleidung“.
Ihr Berufsleben verschmilzt mit Ihrem Privatleben.
Altenberger: Es ist wirklich ein großes Ganzes. Für mich gibt es keine Trennung zwischen Beruf und privat. Ich möchte auch keine Mauern zwischen mir und meinen Rollen. Ich muss keine Rolle abschütteln. Ich muss meinen Stress abschütteln durch Sport oder in der Natur. Aber ich will das alles ganz nah bei mir haben, weil das alles ich bin. Dieses Gespräch hier ist für mich kein lästiger Termin, nach dem dann mein Abend beginnt, sondern das alles ist mein Leben. Das liegt zum Teil daran, dass ich schon immer von diesem Beruf geträumt habe und es so lange nicht funktioniert hat. Jetzt ist es endlich so weit.
Sie sind extrem vielseitig, spielen so viele verschiedene Rollen parallel.
Altenberger: Das hat damit zu tun, dass ich nie etwas zusage, weil ich mehr Geld oder Beschäftigung brauche, sondern weil ich es von ganzem Herzen machen möchte. Deshalb mache ich es, und in dem Moment fühlt es sich nicht mehr wie Arbeit an. Was nicht heißt, dass ich nicht ab und zu Stress empfinde. Natürlich stresst es mich, wenn ich wenig schlafe und viele Termine habe. Manchmal frage ich mich, an welchem Ort ich gerade bin. Das ist normal. Aber alles in allem …
Bekommen Sie die Kraft, die Sie brauchen, wieder zurück aus Ihrer Arbeit?
Altenberger: Mehr. Gerade zurzeit habe ich das Gefühl, gar nicht genug zurückgeben zu können, weil ich so unfassbar viel bekomme.
Verena Altenberger (geb. 1987) wuchs im Salzburger Land auf und studierte in Wien. Als Schauspielerin erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen und Engagements, sowohl am Theater als auch in Kinofilmen oder Fernsehserien (zum Beispiel „Magda macht das schon“ auf RTL oder „Polizeiruf 110“ auf Das Erste und mdr).
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