Wort zum Sonntag
Herr Kardinal, Sie waren in Oberösterreich sozusagen an der Kirchenbasis unterwegs. Was kann man an der Basis für die Ökumene tun?
Kurt Koch: Erstens können und sollen wir die Kontakte pflegen und sowohl uns gegenseitig als auch den Glauben besser kennenlernen. Bekanntlich sehen vier Augen mehr als zwei und so können wir uns auch mit Blick auf das Verständnis des Glaubens gegenseitig bereichern. Zweitens bezeichnet das Zweite Vatikanische Konzil das Gebet um die Einheit der Christen als Seele der ganzen Ökumenischen Bewegung. Gemäß dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums betet Jesus um die Einheit seiner Jünger. Was könnten wir heute Besseres tun?
Die Menschen vor Ort möchten mehr tun. Es ist kein Geheimnis, dass gegenseitig zur Eucharistie und zum Abendmahl nicht nur eingeladen, sondern das praktiziert wird. Ist das denn voreilig?
Koch: Das ökumenische Ziel ist die Einheit auch in der Eucharistie. Damit dies aber möglich werden kann, müssen wir vertieft darüber ins Gespräch kommen, was wir eigentlich feiern. Denn im Verständnis der Göttlichen Liturgie der Orthodoxen, des Abendmahls der Lutheraner und unserer katholischen Eucharistiefeier gibt es Differenzen theologischer Art, die bereinigt werden müssen. Eucharistiegemeinschaft setzt Gemeinschaft im Glauben und im Bekenntnis voraus.
Der Ökumenische Arbeitskreis in Deutschland hat ein Votum für die gegenseitige Einladung zu Eucharistie und Abendmahl abgegeben. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, wollte das beim Ökumenischen Kirchentag 2021 umsetzen. Stellt ihn das jetzt erfolgte Nein der Glaubenskongregation nicht bloß?
Koch: Hier geht es nicht für oder gegen Personen, sondern um die Sache. Die Glaubenskongregation beurteilt die ökumenische Situation heute anders als das genannte Votum, das sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz zu eigen gemacht hat.
Aber wahrscheinlich ist eine Mehrheit der deutschen Bischöfe für das geplante Vorgehen.
Koch: Die Mehrheit ist nicht von selbst die Garantie für die Wahrheit, nicht in der Politik und erst recht nicht in der Kirche. Bevor ich mich zu dieser Frage weiter äußere, gilt es zunächst die Antwort auf das Schreiben der Glaubenskongregation abzuwarten, die Bischof Bätzing in Aussicht gestellt hat.
Neben der Theologie gibt es auch die Ökumene der Symbole von Papst Franziskus. Darf man sein Geschenk eines Abendmahlskelchs an die Lutheraner in Rom nicht als Einladung verstehen, in die eucharistische Praxis zu kommen?
Koch: Die Geste von Papst Franziskus kann man nicht so deuten, als gäbe es bereits jetzt Gemeinschaft in der Eucharistie. Das Geschenk erinnert vielmehr an das anzustrebende Ziel. Der Papst schenkt auch orthodoxen Patriarchen jeweils einen Kelch – im Wissen darum, dass die Orthodoxen noch keine Eucharistiegemeinschaft mit uns wünschen, aber in ihr ebenfalls das Ziel der ökumenischen Annäherung erblicken.
Erst das Schreiben der Kleruskongregation zu den Pfarrreformen, dann jenes der Glaubenskongregation zur Abendmahlsfrage. Hat der synodale Weg die Situation in Deutschland heikel werden lassen?
Koch: Das wichtigste Schreiben haben Sie nicht erwähnt, nämlich den langen Brief, den Papst Franziskus bereits im vergangenen Jahr an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland geschrieben hat. Dass ein Papst ein so ausführliches Schreiben an die Kirche in einem Land richtet, ist doch ein Zeichen großer Sorge und seines Willens, seinen Beitrag zu geben. In diesem Brief hat der Papst vor allem betont, dass das Anliegen der Evangelisierung den Vorrang vor Strukturfragen haben muss. Die anderen Schreiben aus Rom sind von weiteren Entwicklungen veranlasst. Die in verschiedenen Bistümern angestrebten Pfarreireformen haben auch bei Laien Sorgen ausgelöst und sie haben sich nach Rom gewandt. Das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises hat deshalb eine besondere Brisanz erhalten, weil der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz erklärt hat, dass es am Ökumenischen Kirchentag im kommenden Jahr in die Praxis umgesetzt werden soll.
Wir haben den Eindruck, dass es zwischen Papst Franziskus und vielen Menschen in Mitteleuropa Missverständnisse gibt. Europa steht nicht mehr an erster Stelle, wenn sich der Papst den Rändern zuwendet. Stimmt das?
Koch: Der Papst ist der Papst der Universalkirche. Europa ist nicht mehr das Zentrum der Kirche und nicht mehr der Mittelpunkt des kirchlichen Lebens. Das Zentrum befindet sich heute in Afrika, Lateinamerika und Asien. Aber auch von Europa erwartet der Papst viel, was besonders mit seinen Besuchen bei den europäischen Institutionen deutlich geworden ist.
Ein Konfliktthema ist der Umgang mit Frauen in der Kirche. Jüngst sagte uns eine engagierte Frau offen: „Ich überlege, aus der Kirche auszutreten.“ Grund sei insbesondere der Ausschluss der Frauen von der Weihe. Wird im Vatikan die Dringlichkeit dieser Frage wahrgenommen?
Koch: Ja. Jeder Verantwortliche in Rom, der zuvor Bischof einer Diözese gewesen ist, kennt die angesprochenen Erfahrungen. Diese Frage ist heute sehr virulent, sodass die Kirche eine Antwort darauf finden muss. Das Hauptproblem besteht nach meiner Wahrnehmung darin, dass in den Diskussionen zumeist von einem rein funktionalen Amtsverständnis ausgegangen wird; auf dieser Ebene ist in der Tat nicht einsichtig zu machen, warum Frauen nicht dieselben Funktionen ausüben könnten. Theologisch kann die Frage aber nur angegangen werden, wenn danach gefragt wird, was unter Weihe zu verstehen ist und worin die Sendung besteht, die mit der Weihe verbunden ist, nämlich in der Repräsentation Christi als des Hauptes der Kirche.
Lässt sich dieses Thema auf einem Konzil angehen?
Koch: Bereits Papst Johannes Paul II. hat eindeutig entschieden, dass er nicht die Vollmacht hat, die Tradition der Männern vorbehaltenen Weihe zu ändern. Und seine Nachfolger, Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus haben diese Entscheidung verschiedentlich bestätigt. Angesichts dieser klaren Lage könnte die Frage nur dann nochmals aufgenommen werden, wenn ein künftiger Papst entscheiden würde, die Frage auf einem Konzil nochmals beraten zu lassen. Da sich jeder Papst aber an die Entscheidungen seiner Vorgänger gebunden weiß, dürfte eine solche Entscheidung nicht leicht zu fällen sein.
In seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ befürwortet Papst Franziskus die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen. Doch die Gesellschaft ist dazu gespalten. Was kann die Kirche tun?
Koch: Papst Franziskus hat nicht gefordert, dass alle Flüchtlinge ohne Unterschied aufgenommen werden müssen. Er ist sich vielmehr bewusst, dass es auch hinsichtlich der Zahl Grenzen gibt. Für mich besteht das Hauptproblem darin, wie diese große Herausforderung auf europäischer Ebene gelöst werden kann. Diesbezüglich ist die notwendige Solidarität unter den europäischen Ländern bisher sehr schwach entwickelt.
Um den Umgang mit fremden Menschen zu pflegen, ist zweitens eine Vertiefung der eigenen Identität notwendig. Denn ich kann nur offen sein für das Fremde, das mir entgegen kommt, wenn ich selbst über eine klare Identität verfüge.
Eine dritte Herausforderung besteht darin, wie wir den fremden Menschen wahrnehmen: Im klassischen Latein benennt „hostis“ den Fremden und zugleich den Feind; das griechische Wort „xenos“ bezeichnet demgegenüber den Fremden und zugleich den Gast. Von daher stellt sich die Frage, wie wir heute den Fremden betrachten: als Feind oder als Gast?
Die jüdisch-christliche Tradition ist hier eindeutig, wenn wir beispielsweise im Talmud die schöne Definition finden, dass es eigentlich gar keine Fremden gibt, sondern nur Menschen, denen wir bisher noch nicht begegnet sind.
Mehr Bilder und einen ausführlichen Bericht vom Tag des Besuches sehen Sie hier: „Ökumene-Minister des Vatikan“ Kardinal Kurt Koch zu Besuch in Oberösterreich
Gastmeinung von Gerold Lehner, Superintendent der evangelischen Kirche A.B. in Oberösterreich
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