Seit einer Woche können in Vorarlberg kleine Lebensmittelgeschäfte am Sonntag Vormittag zwei Stunden aufsperren. Von einem „Kuckucksei“ spricht ein Unternehmer, eine unehrliche Salamitaktik nennen es Kirchen- leute und Gewerkschafter.Am Dienstag letzter Woche unterschrieb der Vorarlberger Landeshauptmann Herbert Sausgruber eine Verordnung, wonach kleine Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien am Sonntag zwischen acht und zwölf Uhr zwei Stunden aufsperren dürfen. Am Donnerstag beschloß der Gewerkschaftstag der Privatangestellten (GPA), die Einleitung eines Volksbegehrens zur Sicherung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen zu unterstützen. Hinter den Beschluß der mit über 300.000 Mitgliedern stärksten Einzelgewerkschaft hat sich auch ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch gestellt. Überrumpelt„Wir sind noch ganz ruhig zum Sozialpartnergipfel gegangen und waren uns sicher, daß der Landeshauptmann dem Drängen der Wirtschaft nicht nachgeben wird. Schließlich haben uns auch viele kleine Geschäftsleute gesagt, daß sie kein Interesse daran haben, am Sonntag aufzusperren. Erst vor kurzem haben sich 130 von 133 Bäckereien gegen eine Sonntagsöffnung ausgesprochen“, berichtet der Vorarlberger Gewerkschaftssekretär Michael Ritsch. Ähnlich überrumpelt, daß der Landeshauptmann anders entschied, waren auch Pfarrer Eugen Giselbrecht und Josef Rauch von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung. Beide hatten von Sausgruber die Zusicherung, daß ihm der arbeitsfreie Sonntag wichtig sei und daß er die Wünsche der Wirtschaft sorgfältig prüfen werde. Die Gewerkschaft will nun die Verordnung des Landeshauptmanns vom Verfassungsgerichtshof prüfen lassen. „Wir sind der Meinung“, so Ritsch, „daß die ,besonderen regionalen Bedürfnisse‘, die Ausnahmen bei den Ladenöffnungszeiten möglich machen, nicht gegeben sind. In den Fremdenverkehrsgemeinden gibt es ja bereits erweiterte Ladenöffnungszeiten.“ Das macht keinen SinnHerbe Kritik an der Verordnung von Landeshauptmann Sausgruber kommt vom Ludescher Bürgermeister und Bäcker Paul Ammann: „Diese ganze Verordnung ergibt keinen Sinn, es sei denn, man will damit die Tür für die großen Einkaufszentren aufmachen.“ Punkt für Punkt rechnet Ammann ab:u „Diese Verordnung geht auf Kosten der Familien. Meine Frau und ich stehen rund 70 bis 80 Stunden in der Woche im Geschäft. Da sollte doch wenigstens der Sonntag der Familie, den Freunden und der Besinnung gelten. Uns ist das sehr wichtig.u Die Verordnung ist so gemacht, daß sie gar nicht eingehalten werden kann. Da heißt es, daß nur die Besitzer und nicht angestellte Familienmitglieder am Sonntag im Laden stehen dürfen. Bei vielen Familienbetrieben aber ist der Ehepartner angestellt. Was wird die Folge sein? Er/sie wird trotzdem im Geschäft stehen. Also wird früher oder später die Verordnung auf Angestellte ausgeweitet, weil es zuviele ,Süder‘ gibt. Das ist dann die Stunde der großen Einkaufszentren. Ich fürchte sehr, daß diese Verordnung nur der erste Schritt zu einer generellen Lockerung der Sonntagsruhe im Handel ist. Es haben sich ja auch die Großen für diese Verordnung stark gemacht und nicht wir Kleinen.u Wenn der Landeshauptmann sagt, diese Regelung soll besonders den kleinen Nahversorgern helfen, dann scheint mir das recht fragwürdig zu sein. Wenn ich am Sonntag aufsperre, dann verlagern sich nur die Umsätze von Samstag auf Sonntag. Rechnen tut sich das, bis auf ganz wenige Läden, sicher nicht. Wenn man etwas für die Nahversorger tun will, dann müßte man endlich dafür sorgen, daß aus Tankstellenshops nicht regelrechte Lebensmittelgeschäfte werden und dem Wildwuchs bei den Einkaufszentren ein Ende gesetzt wird. u Wer sagt, daß bei zwei Stunden Öffnungszeit der Sonntag ohnedies noch größtenteils frei ist, kennt sich nicht aus. Eine Bäckerei oder ein Geschäft kann man nicht wie ein Büro aufsperren, da hängt viel Arbeit vorher und nachher daran.“Unehrliche SalamitaktikPaul Ammann wird seinen Laden am Sonntag nicht aufsperren. Er schließt aber nicht aus, daß er dadurch unter wirtschaftlichen Druck geraten könnte. So wie den Bürgermeister ärgert auch den Ludescher Pfarrer Giselbrecht die „unehrliche Salamitaktik. Auf der einen Seite ruft man bei der Tür hinaus, wie wichtig intakte Familien sind und wie notwendig ein arbeitsfreier Sonntag für das soziale und familiäre Leben ist, auf der anderen Seite öffnet man die Hintertür für eine schleichende Aushöhlung des Sonntags. Auch wenn die Verordnung vorerst nur probeweise für ein Jahr gilt, so ist kaum damit zu rechnen, daß sie zurückgenommen wird, im Gegenteil, es ist zu befürchten, daß sie ausgeweitet wird.“ Diesen Trend sehen auch Josef Rauch von der KAB und der Gewerkschafter Ritsch, der meint: „Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis das Großeinkaufszentrum Messepark in Dornbirn am Sonntag aufsperrt – so wie das Multiplex in Niederösterreich?“