Ethische Herausforderungen einer High-Tech-Medizin
Ausgabe: 1998/49, High-Tech-Medizin
02.12.1998 - Maria Hauer
Die medizinische Infrastruktur in Westeuropa ist ausgebaut wie noch nie. Innerhalb von zehn Minuten ist jeder potentielle Patient geborgen und medizinisch nach allen Regeln der Kunst versorgt. Ein optimaler Zustand? Etwas, worauf ein Anspruch besteht? Doch die Finanzierbarkeit dieses Systems ist an seine Grenzen gestoßen. Nicht alles, was medizinisch machbar wäre, kann in Zukunft finanziert werden. Müssen Menschen sterben, weil zuwenig Geld für medizinische Versorgung vorhanden ist? Was ist uns die Gesundheit wert? Das sind Fragen, die die Antwort schon vorwegnehmen. Wir brauchen mehr Geld für die Medizin, sagen die einen. Wir brauchen eine grundlegend andere Einstellung zum Leben, zum Leiden und zum Tod, meinen die anderen. Wenn das Geld knapp wird, kommt oft die Ethik ins Spiel.Ein Internationales Symposium der Oberösterreichischen Ordensspitäler und des Diakoniewerks der Evangelischen Kirche stellte sich kürzlich in Linz die Frage: „Brauchen wir eine neue Ethik in der Medizin?“ Ein Ergebnis: Nicht unbedingt mehr Geld und auch keine neue Ethik ist notwendig, sondern eine Besinnung auf „die Kategorie des Maßhaltens“, wie es der Moraltheologe Günter Virt ausdrückte.Grundlage der Ethik sei die unantastbare Würde jedes Menschen aufgrund seines Personseins. Das war auf dem Symposium unbestritten. Deshalb wurden auch Überlegungen wie etwa, ab einem gewissen Alter medizinische Leistungen nicht mehr von der Solidargemeinschaft zu bezahlen - wie es beispielsweise in England schon üblich ist -, einhellig abgelehnt. Aber auch die Ausgliederung besonderer - selbstverschuldeter - Risken aus der Krankenversicherung.Mensch als Kosten- Nutzen-Faktor?Das Medinzinsystem ist immer Teil des Gesellschaftssystems und unterliegt ebenso den gesellschaftlich anerkannten Werten von Sparsamkeit, Rationalität, Optimierung usw. Diese Werte aber absolut zu setzen, hieße, den Menschen auf einen Kosten-Nutzen-Faktor zu reduzieren. Ein Patient ist aber nicht ein Geschäftspartner, der sich eine Gesundheitsleitung leisten kann oder nicht. „Er ist auch nicht der Kunde, der König ist“, so Virt, sondern eine auf Hilfe angewiesene Person. Das gilt besonders am Beginn und am Ende des Lebens. Patienten sind fast immer von Ängsten gequält und mit existentiellen Fragen beschäftigt. Welchen Stellenwert haben diese Aspekte im modernen Medizinbetrieb?Die Tatsache der Endlichkeit des Lebens. Welche Rolle spielt sie in der Medizin? Die Medizin habe utopische Erwartung geweckt, meinte der evangelische Theologe Ulrich Körtner, nämlich die (Wieder-)Herstellung der Gesundheit als geradezu religiöses Heil. Sie kann diesen Anspruch aber nicht einlösen. „Die Medizin ist einer der größten Wachstumsmärkte, die wir noch haben“, meinte Ludwig Pientka, Chefarzt einer Geriatrischen Klinik in Bochum. Ist es aber sinnvoll und ethisch vertretbar, die Medizin als einen Markt zu sehen, der nach Angebot und Nachfrage funktioniert und letztlich das zu behandelnde Potential selbst produziert? Das Symposion, an dem etwa 1200 Ärzte, Schwestern und SeelsorgerInnen teilnahmen, hat mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten gegeben.