Am Grab von Pater Pio entstand Italiens zweitgrößte Kirche für 7,5 Millionen Wallfahrer im Jahr
Ausgabe: 2004/29, Pater Pio, Italien, Papst, Heiligsprechung, Pilger, Wallfahrtsort
13.07.2004 - Ludwig Ring-Eifel
Wallfahren ist out, hieß es vor nicht langer Zeit. Doch der Wind hat sich gedreht. Immer mehr Menschen machen sich zu besonderen Gnadenstätten auf den Weg. Die meisten Pilger in Europa kommen zu P. Pio. Jetzt wurde eine neue Pio-Basilika geweiht.
30.000 Einwohner zählt das apulische Städtchen San Giovanni Rotondo – und einen Kapuzinerkonvent. Dort lebte bis zu seinem Tod 1968 der heutige „Nationalheilige“ der Italiener Padre Pio. Sein Grab ist inzwischen – nach dem mexikanischen Marienwallfahrtsort Guadelupe – zur meistbesuchten christlichen Pilgerstätte geworden.
Um den wachsenden Besucherströmen entsprechende Orte des Gebetes anbieten zu können, traten die Kapuzinerpatres von San Giovanni an den italienischen Starachitekten Renzo Piano heran. Die zweitgrößte Kirche des Landes mit einem riesigen Vorplatz für bis zu 50.000 Leute sollte gebaut werden.
Mit Gottes Hilfe
Piano wollte zunächst mit diesem Giga-Projekt, das auch noch in die apulische Berglandschaft eingepasst werden sollte, nichts zu tun haben. Als ihn die Mönche endlich „weichgeklopft“ hatten, kam der Schock: Mehr als 10 Millionen Euro aufzutreiben war selbst für einen Ort, wo Millionen Pilger jährlich ihre Spenden hintragen, kein leichtes Unterfangen. Und wie bei jedem Bau dieser Größenordnung sind seither die Kosten kräftig gewachsen. Zeitungen sprechen von 25 Millionen und meinen, dass das mit ein Grund ist, warum Rom mit der Bestellung des Diözesanbischofs zum päpstlichen Delegaten die Aufsicht verstärken wollte.
„Mit Gottes Hilfe werden wir es schaffen.“ Keinen Satz hat man in den vergangenen Monaten in San Giovanni Rotondo so oft gehört. Ob Vorarbeiter, Restaurantbetreiber oder Kapuzinermönch, sie alle haben es während des Countdowns zur Eröffnung der neuen Wallfahrtsbasilika täglich mehrmals wie Stoßgebet wiederholt. Auch die Reporter hörten in den vergangenen Wochen auf ihre verwunderte Frage, wie aus dieser Baustelle in wenigen Tagen eine fertige Basilika werden soll nur die Antwort: „Mit Gottes Hilfe …“
Eine Oase der Ruhe
Das Vertrauen auf den Beistand von oben zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des ehrgeizigen Bauprojekts. Seit die Bauarbeiten vor knapp zehn Jahren begonnen wurden, gab es immer wieder Verzögerungen: Erst sollte die Kirche zur Seligsprechung von Pater Pio im Jahr 1999, dann zum Heiligen Jahr 2000, schließlich zur Heiligsprechung im Jahr 2002 fertig werden. Doch knappe Geldmittel, technische Probleme und Bauauflagen sorgten immer wieder für Verzögerungen. Doch immerhin schafften es die Kapuziner, das Projekt um lähmende Bau- und Finanzskandale herumzusteuern. Und so war es am 1. Juli soweit: die Einweihung konnte stattfinden.
Die Krypta der alten Pilgerbasilika aus den sechziger Jahren, wo Pater Pio in einem schmucklosen schwarzen Sarkophag begraben liegt, ist das eigentliche Kraft- und Ruhezentrum des sonst so chaotischen Wallfahrtsortes. Mit der neuen Pilgerkirche kommt ein weiterer Ruhepol hinzu. Wie eine riesige Rundmuschel duckt sich der von grünspanigem Kupfer bedeckte Bau in die ungeordneten Siedlungsstrukturen von San Giovanni Rotondo. Rings um die Kirche wurden Zypressen und Olivenbäume gepflanzt, das Grün soll für Ruhe und Abgeschiedenheit sorgen. Über einen lang gestreckten, sanft abfallenden Vorplatz erreichen die Pilger die Basilika. Eine Mauer mit Glocken schirmt das Areal nochmals ab.
„Grundstein“ fehlt noch
Bis zu 50 Meter überspannen mächtige Rundbögen die Kirche. Sie wirken wie ein Echo der tausend Jahre zurückliegenden romanischen Kirchenarchitektur. Auch im Inneren scheinen Raumgefühle vergangener Epochen auf. Während die lichtdurchflutete Hauptkirche an gotische Kathedralen erinnert, vermitteln die Sakramentskapelle und die Krypta die Geborgenheit kleiner romanischer Kirchen. Unklar ist noch, wann der Leichnam Pater Pios in die neue Krypta überführt wird. Im riesigen zentralen Pfeiler ist Raum für den Sarkophag des Heiligen, der dann nachträglich zum tragenden Grundstein des gigantischen Baus werden könnte.
Der fromme Kapuziner mit den Wundmalen an den Händen war schon zu Lebzeiten ein gesuchter Mann, vor allem als Beichtvater und und heilkräftiger Beter. Selbst Karol Wojtyla kam als junger Priester zu ihm und bat ihn um Fürbitte für die krebskranke polnische Ärztin Wanda Poltawska, die von SS-Ärzten als „lebendes Versuchsobjekt“ missbraucht worden war. Als Papst Johannes Paul II. war es ihm ein großes Anliegen, dass Pater Pio, der zwei Mal mit römischen Auftrittsverboten belegt worden war, selig und heilig gesprochen wurde. Heute kommen jährlich 7,5 Millionen Pilger zu seinem Grab.