Weltweit steigen die Preise für Nahrungsmittel. Weizen, Mais, Kaffee oder Fleisch werden immer teurer. Die Folgen sind für die ärmsten Länder verheerend. Mit Schuld daran ist das extreme Profitstreben von Banken und Vermögensverwaltern, kritisiert Entwicklungsexperte Armin Paasch.
Spekulation mit Nahrungsmitteln – wie läuft das konkret ab? Armin Paasch: Man muss zwei Arten von „Spekulation“ unterscheiden. Traditionell ist es so, dass sich physische Händler – das können auf der einen Seite Weizenhändler oder Weizenproduzenten sein, auf der anderen Seite Brotfabrikanten, die sich mit Weizen versorgen müssen, um Brot backen zu können – gegen Preisschwankungen für Agrarrohstoffe absichern. Das heißt, diese physischen Händler tätigen an den Warenterminbörsen ein Warentermingeschäft, auch Future genannt. Das ist ein Vertrag über den Verkauf oder Kauf einer bestimmten Menge von Getreide oder Soja etc. zu einem späteren Zeitpunkt – sagen wir September – und zu einem schon jetzt im April fixierten Preis. Das ist traditionelle Spekulation, die eine positive Funktion hat, weil sowohl der Weizenhändler als auch der Brotfabrikant letztendlich schon im April wissen, für wie viel Geld sie Weizen verkaufen bzw. kaufen können. Das bedeutet, sie können planen, sie können investieren und dieses Warentermingeschäft bietet eine Absicherung gegen Preisschwankungen. Diese Praxis gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Das eigentliche Problem ist, dass seit etwa 2002 auch Finanzakteure auf den Warenterminbörsen auftreten und darüber hinaus sogenannte Over-the-counter-Geschäfte quasi über die Ladentheke tätigen, die völlig intransparent und somit schwer zu kontrollieren sind.
Welche Finanzakteure stecken da dahinter und wie heizen sie die Preise für Nahrungsmittel an? Armin Paasch: Es sind vor allem Banken. Es gibt auch traditionelle Agrarhändler wie zum Beispiel Bungee, ADM oder auch Cargill, die nicht immer nur diesen physischen Agrarhandel betreiben, sondern die zum Teil auch auf Spekulation aus sind. Aber im Wesentlichen sind es Banken, die Rohstoffindexfonds anbieten und Anteile davon an Anleger verkaufen. Das können Kleinanleger sein, vor allem aber sind es große Vermögensverwalter wie Pensionsfonds, Hedgefonds oder Stiftungen, die das Geld in diese Rohstoffindexfonds investieren. Diese Indexfonds werden von Managern verwaltet, die das Geld dann an den Warenterminbörsen bzw. Rohstoffbörsen anlegen und immer auf Kauf setzen, weil sie davon ausgehen, dass die Rohstoffpreise insgesamt langfristig steigen. Damit treiben sie die Preise für die Futures und auch für die Agrarrohstoffe selbst in die Höhe. Diese Spekulation ist unmoralisch und völlig abgekoppelt von der Frage des aktuellen Angebots und der Nachfrage.
Das heißt, es wird immer auf Kauf gesetzt … Armin Paasch: Genau. Olivier de Schutter, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, hat das als virtuelle Hortung bezeichnet. Es werden nicht wirklich Agrarrohstoffe wie etwa Weizen im Keller der Deutschen Bank gehortet. Aber sie kauft diese Futures und treibt so die Nachfrage nach Rohstoffen auf diesen Warenterminbörsen und damit auch den Preis für diese Futures in die Höhe. Das Problem ist, dass diese hochgetriebenen Spekulationspreise die Referenzpreise für die tatsächlichen Agrarhändler sind. Wenn zum Beispiel ein Bauer überlegt, seinen Weizen zu verkaufen, dann schaut er sich an, zu welchem Preis der Rohstoff zu diesem Zeitpunkt an der Börse gehandelt wird und das ist die Referenz. Deswegen argumentieren wir, dass auch die Future-Preise einen tatsächlichen Einfluss auf die physischen Preise haben. Wenn nur eine bestimmte Menge zur Verfügung steht und immer mehr Futures gekauft werden in einem relativ kleinen Markt, dann ist es logisch, dass die Nachfrage enorm steigt, weil wahnsinnig viel Kapital da rein gepumpt wird. Dadurch kommt es automatisch zu einer Preissteigerung auf diesen virtuellen Märkten.
Gibt es da Zahlen? Armin Paasch: Insgesamt sind die Anlagen in Rohstoffderivate zwischen 2003 und 2011 von 13 Milliarden US-Dollar auf 600 Milliarden US-Dollar angestiegen. Das betrifft aber alle Rohstoffe insgesamt. Man kann nicht genau sagen, wie viele Agrarrohstoffe davon betroffen sind, weil es keine Klarheit darüber gibt und das hat auch mit der Intransparenz dieser Geschäfte zu tun. Aber es hat auf jeden Fall einen massiven Anstieg der Agrarrohstoffpreise gegeben und es ist klar, dass man mit Spekulation auf Nahrungsmittel Gewinne und natürlich auch Verluste machen kann. Begonnen hat die Nahrungsmittelspekulation also 2002 … Armin Paasch: Ja, das war zu einer Zeit, als viele Internetunternehmen Konkurs anmelden mussten. Viele Anleger, die bis dahin in diese Branche investiert hatten, waren dann auf der Suche nach neuen gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten. Da man insgesamt davon ausgeht, dass die Rohstoffpreise wegen der Verknappung ansteigen werden, haben Finanzanleger darin ein lohnendes Geschäft gesehen. Auf der anderen Seite haben die zunehmenden Nahrungsmittelspekulationen auch damit zu tun, dass regulierende Maßnahmen in diesen Märkten aufgehoben wurden. In den USA sind im Jahr 2000 u. a. Positionslimits extrem ausgeweitet worden und ein Händler konnte plötzlich bis zu ein Prozent der gesamten Jahresernte von Weizen weltweit kaufen. Somit hatte er einen enormen Einfluss auf die Preise.
Etwa eine Milliarde Menschen auf der Erde hungern. Welche Folgen hat die Nahrungsmittelspekulation auf die ärmsten Menschen in den Ländern des Südens? Armin Paasch: Es ist sehr schwierig zu sagen, wie groß der Anteil der Spekulation selbst ist, denn es gibt natürlich auch andere Faktoren, die zu den Preissteigerungen oder Preisschwankungen geführt haben wie Agrartreibstoffe oder mehr Futterverbrauch wegen steigendem Fleischkonsum. Aber wir gehen davon aus, die Spekulation hat die Preissteigerungen und Preisschwankungen sehr stark angeheizt. Es gibt zum Beispiel Berichte von unseren Partnerorganisationen aus El Salvador, aus denen geht hervor, dass die Preise 2008 so stark gestiegen sind, dass der Mindestlohn nicht mehr ausreichte, um den notwendigen Warenkorb von Lebensmitteln zu kaufen. Das heißt, dass tatsächlich ein Großteil der Bevölkerung unter die Armutsgrenze und in den Hunger gerutscht ist. Ein anderes Beispiel ist die Hungerkatastrophe in Ostafrika 2011. Sie ist zwar nicht auf Spekulation zurückzuführen, allerdings ist es so, wenn eine Region von Dürren heimgesucht wird und es ein Angebotsproblem in dieser Region gibt, dann sind diese Länder verstärkt auf Importe angewiesen. Wenn dann gleichzeitig die Weltmarktpreise steigen, wie es 2011 der Fall war, dann hat das noch einmal doppelt schlimme Auswirkungen, weil die Importe teurer werden und auch die Lebensmittel vor Ort. Das ist auch ein Problem für das Welternährungsprogramm, das ja die Nahrungsmittel für die Nothilfen kaufen und dafür dann auch mehr bezahlen muss.
Was sind die konkreten Forderungen der Kampagne „Mit Essen spielt man nicht!“, an der sich auch Misereor beteiligt? Armin Paasch: Wir fordern mehr Transparenz und die Regulierung von Warenterminbörsen und Warentermingeschäften mit Agrarrohstoffen; wir fordern strikte Positionslimits, ein Verbot von Indexfonds an Agrarrohstoffmärkten und von außerbörslichen Termingeschäften; wir fordern strenge Berichtspflichten für Händler und Börsen. Im Herbst sollen die Unterschriften an Bundesfinanzminister Schäuble übergeben werden.