Die Katholische Kirche in Oberösterreich richtet sich neu aus. In einer Art synodalem Prozess will sie für alle da sein: die Nahestehenden ebenso wie die Fernstehenden. Am Samstag, 11. November, war Anstoß für den Prozess.
Ausgabe: 2017/46
14.11.2017 - Matthäus Fellinger
„Ich habe eine positive Stimmung gespürt – nicht euphorisch, aber nüchtern und mit viel Zuversicht.“ So fasste Bischof Manfred Scheuer am Samstagabend zusammen, wie er den Start für eine Neuausrichtung der Seelsorge der katholischen Kirche Oberösterreichs erlebt hat. Mit rund 200 Frauen und Männern hatten die diözesanen Gremien, erweitert durch Vertreter/innen aus Dekanaten, Ämtern und Pfarren, den ganzen Samstag, 11. November, einen intensiven Austausch über den Zukunftsweg gehalten.
Freude soll einkehren
„Die Seele ernährt sich von dem, was sie erfreut“, hatte Bischof Scheuer am Morgen den hl. Augustinus zitiert und eingeladen, Kirche nicht engstirnig, sondern „weit zu denken“. Die Freude soll einkehren, Bürokratie und Administration dürfen nicht erdrücken. „Wir sind für etwas gut“, drückte der Bischof seine Überzeugung aus. Und wie dieses Gutsein bei den Menschen glaubwürdig ankommen kann, darum ging es an diesem ersten Tag des Prozesses „Kirche weit denken“. In etwa zwei Jahren sollten dafür konkrete Schritte entwickelt werden.
In den Sälen, Räumen, auch im Foyer des Bildungshauses wurde intensiv darüber diskutiert, wo in der Kirche zur Zeit der Schuh drückt.
Wozu ist Kirche gut?
„Es ist hoch bedeutungsvoll, was Sie anzubieten haben“, meinte Marketingexperte Franz Hirschmugl. Der Steirer war als einer der Impulsgeber eingeladen. Zwar kann die Kirche auf einen großen Vertrauensbonus bei den Leuten bauen, vor allem für das soziale Engagement der Caritas. Die meisten Leute gestehen der Kirche auch eine ordentliche Geschäftsgebarung zu. Aber: Vielen bedeutet sie einfach nichts mehr. Anderen zuliebe, oder nach dem Motto: Wer weiß, wozu es gut sein kann, sind sie halt noch dabei. Und: Für Spiritualität hätten die Kirchen auch kein Monopol mehr. Bei ihrer Neuausrichtung sollte die Kirche das Augenmerk auf die vielen Katholik/innen außerhalb ihrer Stammkundschaft setzten. Mit einer knappen Botschaft, für die Menschen bereit sind, ihren Kirchenbeitrag zu leisten, könne das gelingen: „Wie kommt mehr Liebe in die Welt?“ Das wäre so eine Botschaft, meinte Hirschmugl.
Gott ist auch bei den Kirchenfernen
Die Kirche als ein „geistlicher Prozess“ bewegt sich heute in einem von einer starken Individualisierung geprägten Umfeld, meinte der Theologe Ansgar Kreutzer. Er betonte die neue Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils: Das Volk Gottes ist mehr als die Kirchen allein. Gott ist auch bei den Kirchenfernen – und es gilt, diese auch in ihrer Kirchenferne ernst zu nehmen, sie nicht bloß zurückholen zu wollen.
Der Glaube braucht trotzdem eine institutionelle Verankerung, um in der Gesellschaft wirksam sein zu können, ist Kreutzer überzeugt. Er bezeichnete die Kirche als eine Art „Bürgerinitiative des Heiligen Geistes“, bei der die Menschen eingeladen sind mitzumachen.
„Bis in die Zehenspitzen spüre ich, es ändert sich etwas“, sagte Katharina Brandstetter. Die junge Theologin hat eine verantwortungsvolle Aufgabe bekommen: Sie ist Projekt-Assistentin für den Zukunftsweg. In nächster Zeit wird sie viel zu tun haben. All die am Start-Tag eingebrachten Ideen und Vorschläge müssen erfasst und geordnet werden. Sie werden für die sieben Themen-Teams zur weiteren Beratung aufbereitet. „Für mich ist der Prozess gelungen, wenn er nicht nur von der Diözesanleitung, sondern von allen, die in den Pfarren engagiert sind, angenommen und mitgetragen wird“, so Katharina Brandstetter.
Zeit zum Durchstarten
Das Drängen auf Veränderung kommt nicht nur von den Vertreter/innen aus den Pfarren und Dekanaten, sondern auch von der Leitungsebene. „Ich glaube, dass wir Kirche ganz neu denken müssen“, meinte Generaldechant Slawomir Dadas. „Es ist Zeit zum Durchstarten“, sagte Diözesanökonom Reinhold Prinz.
Eben dazu lud Bischof Manfred Scheuer am Ende des Start-Tages ein: „Wir wollen die Wirklichkeit annehmen, weil Gott uns in der Wirklichkeit umarmt“, meinte er. Die Gegenwart ist nicht unser Dogma, aber sie ist unser Auftrag. Jetzt gehe es um das Unterscheiden, schließlich auch um das Entscheiden. „Ja, ich möchte diesen Weg mit euch gehen, und ich bitte euch auch um dieses Wohlwollen füreinander.“
Auf sieben Feldern
In sieben Themenfeldern arbeiten Teams nun am Zukunftsweg weiter. Für alle Gruppen gibt es Themenpat/innen. Die Gesamtleitung hat Bischof Scheuer der Pastoralamtsleiterin Gabriele Eder-Cakl übertragen. Beim Start-Tag gab es erste Überlegungen:
Option für Jugend. (Themenpatin Gabriele Eder-Cakl) Es geht um Änderung in der kirchlichen Grundhaltung gegenüber Jugendlichen. Wie und wo leben sie? Man soll über den Sonntagsgottesdienst hinausdenken. Jugendliche sind sehr wohl in der Pfarre präsent: Sie treffen sich im Jugendzentrum, helfen beim Flohmarkt etc. Es geht auch um Firmpastoral u.a.
Option für die Armen. (Caritas-Direktor Franz Kehrer) Die Gruppe beschäftigt sich mit allem, was Menschen in Bedrängnis bringt: materielle Armut, Tod, Trauer, Suchterkrankungen, Scheitern in Beziehungen bis hin zu Überforderung am Arbeitsplatz oder Einsamkeit im Alter. Wie können Pfarren hier hinhören, hinschauen? Wie nimmt die Kirche Stellung zu gesellschaftlichen Schieflagen?
Liturgie – Sakramente – Kirchenjahr. (Bischofsvikar Wilhelm Vieböck) Hier wird es keine schnellen Lösungen geben, weil es um sehr grundlegende Dinge geht und weil die Kirchenentwicklung – etwa Leitungsmodelle und Befugnisse – starke Auswirkungen auf die Liturgie haben. Wo muss man auf einer Linie sein, wo ist Vielfalt legitim? Vieböck: Es braucht „mutige Lösungen, die praktisch realisierbar, aber auch theologisch stimmig sind“ – etwa beim Thema Tauferlaubnis oder allgemein bei Sakramentenvorbereitung bzw. -spendung. Die Positionen sind noch sehr unterschiedlich.
Glaubensvermittlung neu. (Brigitte Gruber-Aichberger, Direktorin Pastorale Berufe) Was braucht es, dass Menschen entdecken: christlicher Glaube kann eine Bedeutung für mein Leben haben? Es braucht eine lebensnahe Sprache, die nicht banal ist. Wo gibt es Möglichkeiten, über Glaubenserfahrungen zu reden? Auf gutes Predigtniveau soll geachtet werden.
Option Bildung. (Franz Asanger, Leiter Schulamt) Es geht um Bildung von der Krabbelstube über den Religionsunterricht und regionalen Einrichtungen wie Pfarrbibliotheken bis zu den überregionalen Einrichtungen wie die Private Pädagogische Hochschule. Es geht auch um die Ausbildung der diözesanen Führungskräfte, Pastoralassistent/innen, Religionslehrer/innen oder Elementarpädagog/innen.
Gastfreundschaft – Pilgerschaft – Spiritualität. (Bischof Manfred Scheuer) Gastfreundschaft ist ein wesentliches Merkmal von Kirche. Es gilt herauszufinden: „Was ist lebensfördernd, was zerstört?“ Vorgeschlagen wurden besondere Räume der Sammlung und der spirituellen Quellensuche.Wichtig ist die spirituelle und menschliche Begleitung aller, die in der Seelsorge tätig sind, bis hin zu den Ehrenamtlichen. „Wir müssen fragen: Was ist die Nahrung für das eigene Leben?“
Zeitgemäße Strukturen. (Slawomir Dadas, Vorsitzender Dechantenkonferenz) Wunsch der Menschen ist: Der Weg zur Kirche muss kurz sein. Kirche will vor Ort erlebt werden. Welche Form kann diese „Gemeinschaft von Gläubigen“ künftig haben? Dadas: „Es stellt sich die Frage, ob nicht doch kirchenrechtliche Veränderungen möglich wären, etwa die Zulassungsbedingungen betreffend.“