Glauben wird im Alter nicht einfacher, sondern schwieriger, meint der bekannte „Fernsehpfarrer“ P. Berthold Mayr aus Wels. Als 87-Jähriger weiß er, wovon er spricht.
Ausgabe: 2012/19, Dr. P. Berthold Mayr CMM, Mariannhiller Rundbrief , Gemeinschaft, Glaube, Interview, Fernsehpfarrer
08.05.2012 - Josef Wallner
Auch im Alter darf man zu seinen Zweifeln stehen
Sendung „Christ in der Zeit“ vielen aus der Seele gesprochen. Auch über Radio ist seine Stimme Hunderttausenden bekannt. Jetzt ist Berthold Mayr 87 – und bekennt, dass Glauben im Alter auch schwer sein kann.
Dass Glauben im Alter leichter sein soll, ist eine Meinung, die P. Berthold Mayr nicht teilen kann. „Im Alter beginnt man zu fragen – und oft auch zu zweifeln.“ Das ist die Erfahrung des Seelsorgers, der in seinem Leben so vielen Trost spenden konnte. Dass sie Menschen mit ihren Zweifeln Raum gibt – das wünscht sich P. Berthold von der Kirche und dass sie einen Raum der Gemeinschaft öffnet: „Denn alleine können wir zu wenig hoffen.“ Die Glaubens-Zuversicht hat man nicht ein für alle Mal in der Tasche, sagt Mayr im Gespräch mit der KirchenZeitung. Gott bleibt immer auch ein Geheimnis.
KirchenZeitung: Im Mariannhiller Rundbrief haben Sie in der Rubrik „Zum Nachdenken“ gefragt, ob man im Alter automatisch gläubiger wird. Was ist dabei Ihre eigene Erfahrung? P. Dr. Berthold Mayr: Ich bin ein Jahr lang von Krankenanstalt zu Krankenanstalt transportiert worden. Ich hatte eine schwere Leberkrankheit, die es – um ein wenig zu übertreiben – medizinisch gar nicht gibt. Ich war lange Zeit am Rande des Todes. Da geht einem viel durch den Kopf.
Und was? Mayr: Man geht seine Glaubensgeschichte durch und man sieht die Lebensgeschichten von anderen Menschen. Ich lebe jetzt wieder im Haus der Mariannhiller Missionare in Wels in St. Berthold. Davor war ich nach den Spitalsaufenthalten auch einige Zeit in einem Altenheim. Dort ist mir, wie ich meine, Entscheidendes aufgefallen: nämlich, dass wir allein zu wenig hoffen können.
Können Sie das beschreiben? Mayr: Im Alter nimmt die Vereinzelung und Isolierung zu. Schulkollegen, Freunde, Verwandte, Bekannte – viele, mit denen man in Kontakt stand, sind nicht mehr da, sind bereits tot. Das ist natürlich und da gibt es kein Entrinnen. Dazu kommt auch, dass ich – ich kann das für mich sagen – vieles einfach nicht mehr verstehe.
Was verstehen Sie nicht? Mayr: Wenn ich das Radio aufdrehe, verstehe ich das meiste nicht, was dort gesagt wird. Nicht, dass ich schwerhörig wäre, es geht um die Inhalte. Vieles, was die Welt heute ausmacht und von dem dauernd die Rede ist, wie Internet oder Facebook, ist mir völlig fremd. Ich verstehe die Sprache des Computers nicht und das schließt natürlich aus einem wichtigen und großen Teil der Gesellschaft aus.
Und dieses An-den-Rand-gedrängt-Werden, diese Vereinzelung macht es schwerer zu glauben? Mayr: Ja, da muss ich wirklich meine Vorstellung revidieren: Ich habe einmal geglaubt, dass Menschen mit fortschreitendem Alter automatisch religiös werden. Das ist ein verhängnisvoller Irrtum. Ganz im Gegenteil: Religionssoziologische Untersuchungen haben ergeben, dass unter älteren Menschen die Glaubenszweifel sogar wachsen. Glaubensüberzeugungen, die in der Jugend mehr oder weniger fraglos übernommen wurden, geraten plötzlich in die Krise. Glaubensinhalte, die einmal als sinnstiftend erfahren wurden, verlieren ihre Bedeutung.
Warum ist das so? Mayr: Vieles nimmt man im Lauf des Lebens hin, hat oft gar nicht die Zeit, etwas sonderlich zu hinterfragen. Aber im Alter beginnt man zu fragen und zu zweifeln ...
Wie kann man älteren, zweifelnden Menschen helfen, was kann die Kirche hier tun? Mayr: Ich habe kein Patentrezept. Aber entscheidend ist, dass sich die Kirche als Raum versteht, in dem man frei reden kann. Kirche heißt Gemeinschaft, in der ich mit meinen Zweifeln ernst genommen werde. Wir brauchen sie als Gemeinschaft, die – ich sage es drastisch – die Ungläubigkeit der Menschen erträgt oder deren Glaubensschwierigkeiten aushält. Dann wird die Kirche zu einem Ort, wo meine Vereinzelung überwunden wird. Wo ich angenommen werde, wie ich bin, dort kommt Hoffnung rüber – die Hoffnung, dass es mit meinem Leben gut geht und dass es Gott wirklich gibt. Aber diese Zuversicht hat man nicht ein für allemal in der Tasche. Bis zum Ende des Lebens, wenn man geistig lebendig bleibt, wird man ununterbrochen und immer wieder fragen, nachdenken und zweifeln. Aber das ist nicht alles.
Was hilft älteren Menschen noch im Glauben? Mayr: Wir brauchen eine ehrliche religiöse Sprache. Die Verkündigungssprache mit den großen Worten trifft nicht mehr. Nehmen Sie den Begriff: die „Herrlichkeit des Herrn“. Den kann man so tragend, so bedeutungsschwer aussprechen – aber was heißt es für das Leben? Die Kirche muss den Leuten mehr aufs Maul schauen. Wenn die Kirche nicht ehrlich redet, vernichtet sie Hoffnung. Hier hat die Kirche leider zu wenig Sensibilität.
Während Ihrer langen Spitalsaufenthalte, ist Ihr Glaube schwächer oder stärker geworden? Mayr: Sagen wir, er ist geprüft worden. Die Frage war: Ist Gott wirklich das Wichtigste? Ist es für mich wirklich so, dass ich auf ihn hin unterwegs bin? Welche Antwort haben Sie gegeben? Mayr: Manches kann man nur mit Schweigen beantworten und mit dem Theologen Karl Rahner sagen: Warten wir's ab.
Sie sind nun wieder so genesen, dass Sie Gottesdienst feiern können. Fällt das Predigen nach dieser Erfahrung jetzt leichter oder schwerer? Mayr: Jetzt überlege ich mehr. Früher war manches hingesagt, jetzt denke ich mehr nach und frage: Bin ich das? Das schadet nicht. Im Alter von 30, 40 Jahren ging das Predigen leichter, aber nicht, wie man meinen könnte, weil nun das Alter drückt. Es sind nicht die Beschwerden des Alters, nicht nur die abnehmende Sehkraft, nicht nur die Konzentration, die schwieriger wird.
Sondern? Mayr: Weil das Geheimnis drückt. Das, was wir Gott nennen, das drückt oft.
Und dagegen kann man nichts tun ... Mayr: Nein. Als ich im Krankenhaus war, haben es viele gläubige Menschen gut mit mir gemeint und haben mir die unterschiedlichsten Heilmethoden angeboten: Ich sollte mir etwas um den Hals hängen, eine Kerze anzünden oder mein Krankenzimmer mit Weihwasser aussprengen. Ich werte das nicht ab. Für andere mag das hilfreich sein, ich konnte damit nichts anfangen. Ich war in dieser Phase, wo es um Leben und Tod ging, irgendwie selig, den Frieden gefunden zu haben. Es war schön, dass diese Menschen da waren, mir Gemeinschaft gegeben haben, aber warum haben sie nicht einfach gesagt: Pfiat di! Doch zurück zum Geheimnis, das drückt: Nein, dagegen kann man nichts tun.
P. Dr. Berthold Mayr CMM
P. Berthold Mayr (geboren 1925 in Gurten) gehört seit 1946 der Ordensgemeinschaft der Mariannhiller Missionare an. Nach dem Studium der Theologie erwarb er das Lehramt für Deutsch und Geschichte und kam 1957 nach Wels, wo er bis heute lebt. P. Berthold war lange Zeit Provinzial seines Ordens und Direktor des Internats „St. Berthold“ in Wels. Über die Stadt Wels hinaus, wo er 33 Jahre als Religionsprofessor unterrichtet hat, ist er als „Medienpfarrer“ bekannt. Er gehörte zu den ersten Priestern, die in Hörfunk und Fernsehen Sendungen gestaltet und kommentiert haben. P. Berthold Mayr gestaltete unzählige Sendungen „Christ in der Zeit“ und „Fragen des Christen“ sowie Morgenbetrachtungen im Hörfunk.