Die Dechanten der Diözese Würzburg ließen jüngst aufhorchen: Sie plädieren dafür, die bisher rund 620 Pfarren, die in 160 Pfarrgemeinschaften organisiert sind, langfristig zu 40 Großpfarren zusammenzuschließen. Eine endgültige Entscheidung gibt es zwar noch nicht, doch die Diskussion um Großpfarren wird im gesamten deutschen Sprachraum geführt. Wir haben zwei mit der Thematik befasste Experten um ihre Sichtweise gebeten.
Ausgabe: 2016/48
30.11.2016
Pro: Es geht um die Gemeinden
Diakon Dr. Matrin Faatz:
Für die Gründung von großen Pfarren bin ich, damit Gemeinden vor Ort bestehen bleiben. Das scheint nur auf den ersten Blick absurd. Christinnen und Christen brauchen Gemeinschaft, um Glauben und Leben zu teilen. Sie brauchen Gemeinde, und sie brauchen sie vor Ort. Die Verantwortung für diese Gemeinde muss in ihren eigenen Händen liegen. Sie sind getauft und gefirmt, sie sind mit Charismen beschenkt. Bisher war die Gemeinde vor Ort in der Diözese Würzburg fast überall deckungsgleich mit der Pfarre. Garanten für das Leben in ihnen waren der Pfarrer und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge. Sie fühlten sich verpflichtet, ein möglichst umfassendes Angebot an gottesdienstlichen Feiern, Katechesen und Caritas zu machen. Sie wollten in jeder Pfarrei den umfassenden Heilsdienst der Kirche bieten. Und darüber hinaus mussten sie Sorge für die Verwaltung tragen.
Die Pfarre dient. Dieser Schuh passt nicht mehr. Das Gemeindeleben vor Ort muss bleiben, begleitet von den Seelsorgern. Aber die Verwaltung lässt sich effektiver organisieren, wenn sie konzentriert wird. Die Seelsorge lässt sich vielfältiger gestalten, wenn ein größeres Seelsorgeteam für mehrere Orte zuständig ist. Eine kleinere Gemeinde wird überfordert, wenn sie in vollem Umfang für Liturgie, Verkündigung und Caritas sorgen muss. Sie wird entlastet, wenn der umfassende Heilsdienst auf einer größeren Ebene garantiert wird. In einer Gemeinde kann die Leitung bei den Gläubigen selbst liegen. Für die Pfarre muss der Pfarrer die Letztverantwortung behalten. Die Pfarre ist also ein Unterstützungssystem. Sie dient den Gemeinden. Und nur deshalb bin ich für die Gründung von großen Pfarren.
Contra: Drohender Verlust des Nahbereichs
Dr. Anna Hennersperger:
Bei der Kleidergröße XXL handelt es sich um eine sog. „Übergröße“. Wer eine solche benötigt, hat vermutlich langfristig ein Gesundheitsproblem. In vielen Diözesen Deutschlands und einigen Österreichs sind auch die Pfarren in Richtung XXL unterwegs: zur Übergröße. Pastorale Megaräume entspringen weniger einer zukunftsfähigen Vision von Kirche als der blanken Not. Die Anzahl der verfügbaren Priester ist im Sinken. Ein Ende oder eine Trendwende scheint nicht in Sicht. Eine kürzlich in Deutschland durchgeführte Seelsorgestudie hat erbracht, dass der Anteil derjenigen Priester, die eine solch große Einheit mit Freude und Geschick leiten können ohne dabei auszubrennen oder krank zu werden, sehr gering ist. Dass sich die Kirchengestalt derzeit ändert, ist mit den Händen zu greifen. Aber gibt es neben dem Mangel andere Orientierungen? Wo wird nach dem Prinzip geplant: Erst Visionen und Projekte, dann Strukturen. Erst neuen Wein, dann für diesen neue Schläuche. Manche Diözesen haben inzwischen neue Schläuche – aber haben sie auch Wein?
Bezug. Keine Frage: die Menschen sind heute mobil. Der Kirchturm des eigenen Ortes ist gottlob schon lange nicht mehr die Grenze für Zugehörigkeit. Natürlich sind – mehr denn je – über die Pfarre hinausgehende Orte und Bezugspunkte wichtig, an denen Menschen ihre spirituelle Suche verorten können und neue pastorale Orte entstehen. Aber es braucht auch den gemeindlichen Nahbereich, an dem Kirche ein Gesicht hat. Dass die Pastoral in XXL-Räumen den Bezug zu den Freuden und Leiden der Menschen verliert, ist eine realistische Befürchtung. Zu klein oder zu groß sind keine tragfähigen Perspektiven. Es braucht das Aus- und Einatmen zwischen lokal und regional.