Zwischen Urwaldriesen und Bananenpalmen liegt die Farm von Simon und Manjou Kluibenschedl im Norden Kolumbiens. Dort verbringen sie seit über zehn Jahren mit ihren beiden Töchtern Juana (12) und Sara (10) immer die Hälfte des Jahres. Die andere wohnen sie in St. Thomas, einem kleinen Ort im Bezirk Grieskirchen.
Ausgabe: 2014/38, Kluibenschedl, Kolumbien
17.09.2014 - Dagmar Giglleitner
Sie lernten sich zufällig in einem „Öko-Dorf“ kennen. Manjou, die aus der kolumbianischen Großstadt Medellín stammt, nahm sich eine Auszeit von ihrem anstrengenden Alltag als Studentin mit Nebenjob. In dem Dorf im Urwald unterrichtete sie und half in verschiedenen Projekten mit. Der gebürtige Tiroler Simon reiste zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre durch Südamerika, auf der Suche nach „irgendetwas, das ich in Österreich nicht fand.“ Sein Weg führte ihn in das Öko-Dorf, weil er dort herausfinden wollte, wie es funktioniert, im Regenwald zu leben. Liebe auf den ersten Blick? Zuerst nicht, da beide gar nicht auf der Suche nach einer Beziehung waren. Als Simon wieder abreiste, blieben sie nur lose in Kontakt. Erst zwei Jahre später sollte sich das ändern. „Wenn man dann doch immer wieder in denselben Hafen zurückkehrt, kann man nicht mehr sagen, dass man keine Partnerschaft sucht“, erklärt Simon.
Leben in der Natur
Nahe dem Dorf, wo sie sich kennengelernt hatten, kauften sie eine Farm. Damit erfüllte sich Simons Traum von einem Leben in der Natur, den er in Österreich aus finanziellen Gründen nicht realisieren konnte. Das Leben im Regenwald war für beide zu Beginn eine Herausforderung: Keine Straße, kein Strom und ziemlich gefährlich, da es in der Gegend der Grenze zu Panama bewaffnete Paramilitärs und auch immer wieder Gefechte gibt. „Wir wohnen am Ende der Welt“, erzählt Simon. „Vorher ist die Zivilisation, dann kommen wir und dann ist es aus. Dahinter gibt es nichts mehr.“ In den letzten Jahren habe sich aber einiges entwickelt, da viel Geld durch den Drogenanbau und -schmuggel in die Region gekommen sei. Es gibt mittlerweile Strom und vor ungefähr sechs Jahren sind quasi aus dem Nichts die ersten Handys aufgetaucht. Vorher gab es nur schlecht funktionierende Satellitentelefone. „Plötzlich ritten die Leute am Strand mit dem Handy auf dem Pferd vorbei. Das war schräg!“, erinnert sich Simon.
Jenseits von Normen
Von Anfang an waren Manjou und Simon aber in beiden Ländern beheimatet. Wichtig ist ihnen, dass ihre Töchter innerhalb des österreichischen Bildungs- und Sozialsystem aufwachsen, weshalb Simon sie in der Zeit in Kolumbien selbst auf Deutsch unterrichtet. Das heißt jedoch nicht, dass sich die Kluibenschedls an alle österreichischen Normen halten! Besonders deutlich wird das, wenn sie von der Geburt ihrer ersten Tochter auf der Farm in Kolumbien erzählen. „Man glaubt ja in Österreich, dass Schwangerschaft eine Krankheit ist“, meint Simon. Manjou berichtet, dass sie keine einzige Untersuchung machte. Weil sie sich immer gut fühlte, sah sie keinen Grund, ihr Kind nicht zu Hause zur Welt zu bringen. Die Geburt, bei der schließlich eine alte, schwarze Hebamme half, war trotz dieses Vertrauens ziemlich nervenaufreibend: Sie dauerte fast 30 Stunden und für den Notfall hätte es keine medizinische Versorgung gegeben.
Starke Nerven
Grenzsituationen wie diese erlebten die beiden schon genug: Zum Beispiel als die jüngere Tochter Sara von einer Giftschlange gebissen wurde. Oder als sie sich so schwer am Knie verletzte, dass den Eltern nichts anderes übrig blieb, als die Wunde eigenhändig mit Nadel und Faden zu nähen. „Man braucht schon gute Nerven“, meint Simon. Was für Österreicher/innen wild und exotisch klingt, ist für Familie Kluibenschedl Alltag. Auf die Frage, wie sie die Präsenz von Drogenhändlern, Guerilla und Paramilitär erlebt, zuckt die jüngere Tochter Sara bloß mit den Schultern. Ihr Vater erklärt diese unbeeindruckte Reaktion damit, „dass die Gefahr eine kolumbianische Realität ist, der man nicht entkommt.“ Kinder im Urwald neben Affen, Schlangen, Spinnen und anderem Getier zu erziehen, wäre wohl für manche Eltern ein Albtraum. Für Simon und Manjou ist das Gegenteil der Fall: „Kinder in Österreich aufzuziehen ist ja ein Horror!“ Sie erklären, dass es in Kolumbien für ihre Töchter viel mehr Freiheit gibt: „Wenn hier ein Kind etwas verschüttet, ist sofort der Teppich kaputt. In der Natur können sie sich dagegen austoben, ohne sofort etwas falsch zu machen.“
Wie im Wilden Westen
Kolumbien ist seit Jahrzehnten von gewaltsamen Konflikten zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen gezeichnet, von denen in den Medien nur selten berichtet wurde. Rechtsgerichtete Paramilitärs, linksgerichtete Guerilla sowie die kolumbianische Armee tragen einen blutigen Kampf der Ideologien auf dem Rücken der Bevölkerung aus. Auf Seiten der Guerillas sind vor allem die „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC) für Morde, gewaltsame Vertreibung, die Rekrutierung von Kindersoldaten und Geiselnahmen verantwortlich. Außerdem benutzten sie die international geächteten Anti-Personen-Landminen, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Auch die paramilitärische Truppen sind in den Drogenhandel verwickelt und terrorisieren die Zivilisten. Dazu kommt, dass das reguläre kolumbianische Militär Zivilisten außergerichtlich ermordete und in Uniformen der FARC steckte, um ein von der Regierung versprochenes Kopfgeld für jeden getöteten FARC-Kämpfer zu erhalten. „Das Gesetz macht der am Besten bewaffnete, der die Gegend kontrolliert. Man kann es sich ein bisschen wie im Wilden Westen vorstellen“, berichtet Simon Kluibenschedl. Erst Anfang August 2014, als die zweite Amtszeit von Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos begann, wurden Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC aufgenommen. Damit verlagert sich der Kampf jetzt dorthin, wo er eigentlich hingehört: ins Parlament.