Viele Menschen empfinden ein Gefühl der Unsicherheit und Angst. Das hat auch mit der politischen Sprache zu tun und damit, dass das Bild einer gespaltenen Gesellschaft heraufbeschworen wird, sagt der Kommunikationsexperte Walter Ötsch.
Ausgabe: 2016/46
15.11.2016 - Christine Grüll
Welche Person im öffentlichen Leben hören Sie gerne reden?
Walter Ötsch: Ich höre gerne Leute, die Klartext reden. Ich wünsche mir, dass Politiker viel ehrlicher zur Sache reden und nicht den Eindruck erwecken, als ob sie alles wüssten. Ich wünsche mir ein politisches Reden, in dem sich der Politiker als Mensch mit seinen Widersprüchen präsentieren darf und dass das von der Öffentlichkeit positiv gesehen wird – weg von einer Werbesprache hin zu einer menschlicheren, entspannteren Sprache.
Zurzeit empfinden viele Menschen ein Gefühl der Unsicherheit und Angst. Was trägt die Sprache in Politik und Medien dazu bei?
Ötsch: Eine der größten Ängste ist die vor dem Terror. Die Art, wie hier Politik und Medien reagieren, ist absolut verantwortungslos. Nach Attentaten wurden schon ganze Städte lahmgelegt, das sind Überreaktionen. In den 1990er Jahren hatte man mehr Terroranschläge als jetzt, damals wurde besonnener reagiert und man hat keine Panik inszeniert. Die Wahrscheinlichkeit, an einem Terroranschlag zu sterben, ist fast null.
Politikerinnen und Politiker, die eine ausgrenzende Sprache verwenden, erhalten viel Aufmerksamkeit …
Ötsch: Sie greifen Ängste und Sorgen auf, die zum Teil berechtigt und manchmal übertrieben sind, übertreiben und heizen sie an, bündeln sie mit Vorurteilen jeder Art, nennen willkürlich Sündenböcke, verkünden einfache Lösungen und präsentieren sich als Retter.
Hören wir jemandem, der schimpft, eher zu als jemandem, der ausgewogen spricht?
Ötsch: Das kann man nicht verallgemeinern. Es gibt auch eine positive Sprache, die begeistern kann, wie 2008 im Wahlkampf von Barack Obama. Er hat positiv über die Zukunft geredet, das hat die Menschen bewegt.
„Flüchtlingswelle“ ist zum Beispiel ein bildlicher Ausdruck, der glauben lässt, dass Flüchtlinge wie ein Tsunami über uns hereinbrechen. Warum werden negativ besetzte Wörter gerne verwendet?
Ötsch: Sprache lebt von Bildern. Rechtspopulisten setzen Bilder viel bewusster ein. Sie kümmern sich nicht um Programme oder Fakten. Ihnen geht es darum, Bilder zu erzeugen. Das Hauptbild der Rechtspopulisten ist das Bild einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen „Wir“, auf der anderen Seite „die Anderen“. Der gesamte Rechtspopulismus kann auf dieses Bild zurückgeführt werden: „Das Volk“, das sind die Guten, kämpft gegen „die Elite“, das sind die Bösen. Die Bösen sind draußen zu finden, wie die Diktatur der Europäischen Union, oder im Inneren, wie die sogenannte Schickeria. Alle Bösen sind „Feinde“, sie sind immer die Täter, „Wir“ hingegen sind immer die Opfer. Dieses Bild bezeichnet den qualitativen Unterschied zu anderen Arten von Politik – unabhängig von den Inhalten, ob rechts oder links.
Was sind die Folgen?
Ötsch: Das Bild einer gespaltenen Gesellschaft kann die Demokratie zerstören. Demokratie bedeutet immer auch Einschluss: Regeln, die für alle gelten, wie zum Beispiel die Menschenrechte. In der Demokratie kommen zuerst die Regeln für alle, dann erst die Unterschiede. In der ideologischen Hetze der Demagogie hingegen geht es zuerst um die beiden erfundenen Gruppen – und die Menschenrechte gelten nur für die „Wir“, aber nicht für „die Anderen“. „Denen“ kann man – wie man jetzt auf Facebook tausendfach lesen kann – sogar den Tod wünschen. Wir erleben eine deutliche Verrohung der politischen Sprache.
Was kann ich selbst tun, um mich von einer negativen Sprache in der Öffentlichkeit nicht zu sehr beeinflussen zu lassen?
Ötsch: Man muss versuchen, für sich selbst eine Grenze zu ziehen: Wo liegt eine berechtigte Angst vor und wo eine medial geschürte Angst? Man sollte versuchen, die geschürte Angst zurückzuweisen und über die berechtigten Ängste mit anderen zu sprechen, ohne das Bild von den „Guten“ gegen die „Bösen“ zu verwenden. Man sollte die Angstmacherei nüchtern studieren, ihre Bilder und Taktiken erkennen, mit anderen Menschen über seine eigenen Ängste ehrlich reden – wenn möglich in einer integrativen Art. Jeder kann seinen und jede kann ihren Beitrag zur Verbesserung des sozialen Klimas in Österreich leisten. «