Alljährlich taucht im Zusammenhang mit der Lesung vom Auszug aus Ägypten in der Osternacht die Frage auf: Wie kann Gott nur so grausam sein? (Ex 14,15 – 15,1) Aus der Serie: Das Alte Testament – Die Bibel Jesu, Teil 4 von 5, Das Buch Exodus.
Ausgabe: 2015/5, Exodus, Bibelkurs
27.01.2015 - Hans Hauer
Nicht nur Personen, die ihren Kirchenbesuch auf Weihnachten und Ostern reduziert haben, stellen diese Fragen: Warum lässt Gott die Ägypter umkommen? Ist der Gott des Alten Testaments nicht ein furchtbarer Gott? In der Osternacht könnten wir doch gleich zum frohen Ereignis der Auferweckung Jesu kommen! Dieser fromme Wunsch entpuppt sich als ein Kurzschluss und leugnet, dass auch im Neuen Testament ein zu Tode geschundener und am Pfahl aufgehängter Sohn dem „christlichen“ Heilswillen eines Vatergottes entspricht.
Bibel ganz realistisch
Die Bibel ist nun einmal kein Märchenbuch, sondern stellt den Menschen in die Realität der weltlichen Gegebenheiten und in die Transzendenz einer über irdische Erfahrungen hinausgehenden Wirklichkeit. Um das genauer zu begreifen, sind nicht nur die Lesungen der Osternacht hilfreich. Ein genauerer Blick in das Buch Exodus ist notwendig.
Tod und Leben
Das Volk Gottes soll zum Segen werden und erfährt diesen Segen in der Fremde, in Ägypten. Gleichzeitig wird das Volk aber als Bedrohung erlebt, sodass der Pharao die Unterdrückung anordnet. Da seine Repressionen nicht fruchten, geht er zu einem schrecklichen Genozid über: Er plant, alle männlichen Nachkommen bei der Geburt töten zu lassen. Wie ein „Gegen-Gott“ entscheidet der Pharao über Leben und Tod. Aber der Gott Israels segnet sein Volk und schenkt ihm Weisheit, damit das todbringende Vorhaben keinen Erfolg hat. Der Gott des Alten Testaments sieht das Leid und hört den Hilfeschrei. Dieser Gott steht auf der Seite der Unterdrückten und Notleidenden. Die einzelnen Plagen sollen die Unterdrücker zur Umkehr bewegen. Doch dies geschieht nicht. In der letzten Plage wird nicht die volle Revanche am Pharao vollzogen, denn nicht alle Knaben sollen sterben, sondern nur die Erstgeborenen. Auch wenn es zu keiner Einsicht und Veränderung beim Pharao kommt, kann das Volk aufgrund von Gottes Wirken den Weg in die Freiheit antreten. Aber noch einmal kommt es zur Bedrohung des Lebens durch das Schilfmeer und durch das nachstellende Heer. In einer theatralischen Schilderung werden der Durchzug durch das Meer und die Vernichtung der lebenszerstörenden Macht geschildert (Lesung der Osternacht). Aufgrund des Eingreifens Gottes kann das hochgerüstete Militär den unbewaffneten Flüchtlingen nichts anhaben – im Gegenteil: Jene, die zum Schwert greifen, kommen um. (Der Volksmund drückt es so aus: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ – vgl. Sir 27,26.)
Aus der Perspektive der Unterdrückten
Der Lesungstext (Ex 14,15 – 15,1) ist also eingebettet in die Sympathie Gottes für die Unterdrückten. Diese Perspektive kommt aus einer von vielen Generationen gemachten Erfahrung der Rettung, auf die immer wieder zurückgeschaut wird, um in Notsituationen nicht aufzugeben. Wer sich aber in diesem Text auf die Seite der Unterdrücker stellt, wird weiterhin seine Probleme mit dem Abschnitt in der Osternacht haben und sich außerdem unausweichlich fragen müssen, ob er/sie nicht zur Sichtweise Gottes und zur Solidarität mit den Unterdrückten und Schwachen wechseln will bzw. soll, um dem Willen Gottes zu entsprechen. Leider wollen viele Gott das Negative zuschreiben, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Dabei wird übersehen, dass viel Schreckliches (Vernichtung anderer, Produktion von Waffen, seelische Verletzungen usw.) durch uns Menschen geschieht. Der biblische Gott aber will die Überwindung aller lebensbedrohenden Mächte und rettet auch aus dem Tod.