Der Wecker tickt und tickt. Die Nacht kann lang sein, wenn der Schlaf nicht kommen will. Immer wieder kreisen die Gedanken um das eine Thema: Wo bleibt mein Schlaf, ich bin so müde! Viktor Frankl hat in seinem Buch „Psychotherapie für den Alltag“ gute Erklärungen und Lösungen für Ängste und Störungen, die Menschen im Alltag quälen.
Ausgabe: 2017/31
01.08.2017 - Elisabeth Leitner
Hubert ist 54 Jahre alt. Er wälzt sich von einer Seite auf die andere. Heiß ist es draußen. Tausend Gedanken gehen ihm durch den Kopf. Sein Körper ist müde, der Kopf hellwach. An Schlaf ist nicht zu denken, obwohl er am liebsten nur noch schlafen würde. Er will einschlafen, kann aber nicht. Schlafstörungen wie diese oder die Angst vor großen Plätzen, gar ein Hang zur Hysterie? – Hubert ist kein Einzelfall. Im Alltag sind viele von Ängsten und Zwängen geplagt, die einem das Leben schwer machen können. Viktor Frankl hat diese Phänomene in seinem Buch „Psychotherapie für den Alltag“ beschrieben und bietet dazu Lösungsansätze an.
Zum Beispiel: Schlaflosigkeit
Was also tun bei Schlaflosigkeit? Frankl meint dazu, dass es sich um eine Schlafstörung handelt und nicht um eine generelle Schlaflosigkeit. Die meisten Menschen, die erzählen, sie hätten die ganze Nacht kein Auge zugedrückt, haben trotzdem einige Zeit geschlafen. Die schlaflosen Menschen unterliegen hier einer notwendigen Täuschung, diese Selbsttäuschung sei aber nicht bewusst herbeigeführt. Das gleiche gelte übrigens für das Träumen. Wer morgens aufsteht und sagt: „Ich habe gar nichts geträumt!“, hat nur seine Nachtträume vergessen. Jeder Mensch träumt, nur die Erinnerung daran geht verloren. Was aber tun, wenn die Angst vor der nächsten schlaflosen Nacht auch den Tag bestimmt? Frankl nennt das den „Mechanismus der Erwartungsangst“: Ein Symptom erzeugt eine Befürchtung, diese Befürchtung verstärkt das Symptom. Die Furcht verscheucht den Schlaf und je mehr der Betroffene darüber nachdenkt, umso weiter spinnt er sich in diese Angst hinein.
Vertrauen zum eigenen Organismus
Während Hubert auf das Einschlafen lauert und all seine Gedanken darum kreisen, macht er genau das unmöglich. Denn Schlafen geht nur, wenn man entspannt ist. Wer bewusst den Schlaf anstrebt, verhindert ihn: „Schlaf heißt nichts anderes als Versinken in die Unbewusstheit. Und alles Denken an ihn und alles Schlafen wollen ist nur dazu angetan, einen nicht einschlafen zu lassen,“ so Frankl.
Angst vor der Nacht
Was also tun gegen diese Erwartungsangst? Der Rat wirkt einfach: der Angst den Wind aus den Segeln nehmen. Frankl beschreibt ein Grundgesetz: „Den Schlaf, den der Organismus unbedingt braucht, den holt sich der Organismus auf jeden Fall.“ Vertrauen zum eigenen Organismus aufbauen, das könne helfen. Nicht die Schlafdauer sei entscheidend, sondern die Schlafmenge. Diese ist das Produkt von Schlafdauer und Schlaftiefe. Das erklärt auch, warum Menschen unterschiedliche Schlafbedürfnisse haben.
Was könnte dem erschöpften Hubert helfen? Frankl hat folgende paradoxe Idee: Wie wäre es, das Einschlafen gar nicht anzustreben, etwa zu sagen: Heute will ich auf keinen Fall einschlafen? Der Erfolg wäre garantiert, ist Frankl überzeugt. Hubert könnte endlich einschlafen. Außerdem könnte man beim Einschlafen an alles mögliche denken, zum Beispiel, was tagsüber passiert ist – aber eben nur nicht an das Einschlafen. – Und was tun bei Durchschlafstörungen? Wer endlich einen Schlafzipfel erwischt hat, soll ihn nicht mehr loslassen, rät Frankl. Wird man nachts munter, dann kein Licht aufdrehen und am besten schauen, dass man aus der Traumstimmung nicht herausfällt und gleich weiterträumen. In diesem Sinne: Gute Nacht!
„Psychotherapie für den Alltag“ von Viktor E. Frankl, Kreuz-Verlag: Liebe, Melancholie, Überlastung und Stress, Altern und Reifen, das Verhältnis von Leib und Seele – um diese Themen kreist das Buch.