Andrea und Stefan kommen zu mir in die Beratung. Andrea ist hochschwanger. Stefan dreht sein Smartphone in der Hand und rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her.
Er scheint nicht ganz freiwillig mitgekommen zu sein. Andrea bricht dann auch gleich in Tränen aus. Sie fühle sich von ihrem Mann alleingelassen. Stefan habe so viel zu tun. Es stellt sich heraus, dass Stefan, 35, ein Workoholik ist: ein 100-Prozent-Job, ein Nebenjob, Stadtrat und Parteivorsitzender. Stefan wirkt gehetzt. Ich muss ihn bitten, sein Handy für diese Stunde abzuschalten.
Prioritäten setzen. Ja, es sei schon viel, meint er, aber es mache ihm alles Spaß und es sei schwierig, etwas abzugeben. Schließlich müsse es getan werden, oder? Stefan ist offensichtlich im Hamsterrad und radelt unermüdlich, während sich seine Andrea inzwischen in Karenz zu Hause auf das erste gemeinsame Kind vorbereitet. Sie fühlt sich unwichtig, unbeachtet, wie das dritte Rad am Wagen, und muss zusehen, wie sich Stefan von früh bis spät abstrampelt. Wie wird das wohl werden, wenn das Kind da ist? Wird sie alleinerziehend Mutter werden?
Nicht Hamster haben das Hamsterrad erfunden, sondern Menschen. Sie erfreuen sich beim Zusehen, wie die possierlichen Tierchen sich im Rad drehen. Wer selbst im Hamsterrad steckt, dem vergeht irgendwann der Spaß daran. Sich daraus zu befreien beginnt mit der Frage nach den Prioritäten des Lebens und mündet in eine bewusste Entscheidung für das wirklich Wichtige, wofür ich bereit bin, etwas anderes loszulassen.
Im Laufe des Gesprächs erkennt Stefan Andreas Not und zeigt Bereitschaft, vorerst eine seiner politischen Agenden abzugeben. Er freut sich ja auch auf das Wunschkind. Bis zur Geburt des Kindes will er, wie er sagt, „ein Zeitbudget nur für Andrea und das Baby freischaufeln“.
Zug um Zug loslassen. Generell ist ein Zurückschrauben für aktive Menschen nicht leicht. Sie sind hochmotiviert, erfolgsverwöhnt und – nicht zu vergessen – beziehen viel Anerkennung und sozialen Status aus ihren Tätigkeiten.
Aus dem alltäglichen Hamsterrad auszusteigen kann mit kleinen, aber bewussten Pausen beginnen. Um sich in Gelassenheit zu üben, kann Yoga, Autogenes Training, Feldenkrais, Mentaltraining oder anderes hilfreich sein. Entscheidend ist aber immer die innere Einstellung und die Bereitschaft loszulassen, im Hier und Jetzt zu sein. Nicht immer ganz einfach, aber wirksam – und der innere Hamster freut sich, auch ohne Rad. Haben Sie heute schon eine Pause gemacht?