Das Land, in dem Milch und Honig fließen, bleibt Eigentum Gottes, aber er lässt sein Volk an dieser Fülle teilhaben.
Aus der Serie "Das Alte Testament – Die Bibel Jesu", Teil 2 von 5, Das Buch Deuteronomium
Ausgabe: 2015/3, Deuteronomium, Penner
13.01.2015 - Ingrid Prenner
Die Erwähnung von Gesetzen löst bei vielen Menschen ein negatives Gefühl aus. Gesetze werden mit Einengung und Bevormundung in Verbindung gebracht. Dennoch kommt keine größere Gemeinschaft ohne bindende Vereinbarungen aus. Es vermittelt dem/der Einzelnen Sicherheit, wenn alle, die zu einer Gruppe gehören, sich an bestimmte Verhaltensübereinkünfte halten und sich darauf verlassen können. Wer sich nicht daran hält, stellt sich selber ins Out dieser Gruppe und hat mit Sanktionen zu rechnen. Gott schenkt die Gebote erst, nachdem das israelitische Volk sein rettendes Eingreifen erfahren hat. Daher wird vor der Gabe der so genannten Zehn Gebote noch einmal eindringlich erinnert, wer der „Gesetzgeber“ ist: „Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Ex 20,2; Dtn 5,6). Die enge Beziehung wird durch die Selbstvorstellung „dein Gott“ ausgedrückt. Zugleich wird noch einmal die bisherige Erfahrung des Volkes mit Gott kurz zusammengefasst: Dieser Gott führt aus Sklaverei und Knechtschaft heraus. Die Gebote haben in keiner Weise die Absicht, das Leben des Menschen erneut einzuschränken. Im Gegenteil: Sie weisen einen Weg, wie die gewonnene Freiheit weiterhin gemeinsam erhalten werden kann. In diesem Sinne sind sie vielmehr Weg-Weisung und Orientierungshilfe.
Ende der Wüstenzeit
Das Buch Deuteronomium (= zweites Gesetz) ist komponiert als eine Sammlung großer Reden des Mose kurz vor dem Einzug des Volkes in das von Gott versprochene Land. Die ältesten Texte des Buches finden sich in den Kapiteln 12 bis 26, die ins 7. Jahrhundert vor Christus datiert werden und mit der Auffindung eines Gesetzbuches durch König Joschija (von 640 bis 609 v. Chr.; vgl. 2 Kön 22,8–13) in Zusammenhang gebracht werden. Zu Beginn erinnert Mose das Volk an die vergangenen Ereignisse und wirft einen verheißungsvollen Blick in die Zukunft des Volkes – allerdings mit der Mahnung, nie zu vergessen, wer der Geber dieses Reichtums ist. Das Land, in dem Milch und Honig fließen, bleibt Eigentum Gottes, aber er lässt sein Volk an dieser Fülle teilhaben. Das eigentliche „Gesetz“ findet sich in den Kapiteln 5–28. Am Beginn stehen die Zehn Gebote (Dekalog = Zehnwort), engstens verbunden mit dem Aufruf zur Gottesliebe – bis heute das Hauptgebet des Judentums: „Höre, Israel! JHWH, unser Gott, JHWH ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ (Dtn 6,4–5). Die Liebe zu Gott und die Gewissheit seiner Gegenliebe sind der tragende Grund, dem Geber und seinen Weisungen zu trauen. Anschließend wird auf die Ernsthaftigkeit des Bundes verwiesen – jedoch nicht ohne dem Volk vor Augen zu stellen, dass dieses Gesetz nicht unmöglich zu befolgen ist, sondern seinem Menschsein zutiefst entspricht: „Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft … das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“ (Dtn 30,11.14).
Der Mensch hat die Wahlmöglichkeit
Den Abschluss bilden die Zusage des Segens bei Befolgung und die Ansage des Fluches bei Missachtung der Weisungen. Heute würde man es wohl so ausdrücken: Wer sich nicht an vereinbarte Spielregeln hält, hat mit entsprechenden äußeren oder inneren Konsequenzen zu rechnen. Der Mensch trägt für seine Entscheidungen die Verantwortung. Er ist nicht Spielball Gottes, sondern sein in die Freiheit entlassenes Geschöpf, dem er ans Herz legt: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben …“ (Dtn 30,19).