Ein Marterl im Gestrüpp? Fast unbemerkt, und doch kann es ein Haltepunkt sein im Strom des Lebens. Aus der Reihe "Alltagskultur".
Ausgabe: 2017/45
08.11.2017 - Elisabeth Leitner
Ein Spaziergang durch die Herbstlandschaft. Farbtöne in Grün, Braun, Gelb, Orange prägen das Bild. Die Waldluft ist würzig. Im Gestrüpp ist ein Marterl zu sehen. Es steht am Rand eines gerade noch erkennbaren Treppelweges. Mitten im Wald. Kommt hier jemals eine Besucherin vorbei? – Die malerische Gestaltung wirkt etwas unbeholfen, vielleicht hat erst kürzlich jemand die Farben aufgefrischt? Es zeigt eine Frauenfigur mit Kind auf blauem Hintergrund – Maria mit Jesus, darunter ist ein Wald mit einigen am Boden liegenden Bäumen erkennbar. Erinnert wird an das Schicksal einer jungen Bauerstochter, die von der Frühmesse heimkommend von einem Sturm überrascht und von einem umstürzenden Baum getötet wurde. Bereits im Jahr 1930 ereignete sich das Unglück. Bis heute erinnert das Marterl an den tragischen Tod. Unbemerkt von der Öffentlichkeit, aber nicht vergessen. – „Ein Fluss, der aus dem Werden hervorgeht, ein reißender Strom ist die Zeit. Kaum war jegliches Ding zum Vorschein gekommen, so ist es auch schon wieder weggeführt, ein anderes herbeigetragen, aber auch das wird weggeschwemmt werden“, sagte Mark Aurel, römischer Kaiser und Philosoph im 2. Jahrhundert nach Christus. Bleibt keine Spur der Erinnerung? – Gedenkzeichen wie diese können Haltepunkte im Strom des Lebens sein. Innehalten, durchatmen, weitergehen. Manchmal gegen den Strom der Zeit.