Ritas Mann Leo hat sich das Leben genommen. Sie fand ihn erhängt in einem Schuppen ihres gemeinsamen Hofes.
Ausgabe: 2017/43
24.10.2017 - Andrea Holzer-Breid
Rita redet langsam und mit leerem Blick. Sie kann nicht fassen, was passiert ist, versteht nicht, dass ihr Mann so etwas tun konnte. „Er war im Krankenhaus. Er hat schon eine Weile Depressionen gehabt. Warum hat ihm niemand helfen können?“
Schock und Trauma
Der Suizid eines geliebten Menschen verursacht einen Schock bei den Hinterbliebenen. Sie werden überflutet von verschiedensten Gefühlen: Wut, Scham, Ärger, Verzweiflung, Angst. Auch der Körper kann reagieren, mit Appetitverlust, Ruhelosigkeit oder Schlaflosigkeit. Viele Angehörige erleben alles wie in Trance. Die Außenwelt dringt nicht zu ihnen, alles ist dumpf und unwirklich. Viele sind anfangs nicht in der Lage, überhaupt etwas zu empfinden. Diese Reaktionen sind Schutzmechanismen unserer Seele. Durch die Abspaltung des Unfassbaren kann der Mensch überleben und weiter „funktionieren“.
Viele Fragen
„Warum hat er das gemacht?“ „Warum konnte ihm keiner helfen?“ Oft kommen Schuldgefühle dazu: „Hätte ich mehr tun müssen?“ „Hätte ich es merken müssen?“ Rita ist wütend, dass ihr Mann sie verlassen hat. Sie fühlt sich im Stich gelassen, mit der ganzen Arbeit, mit dem Hof. Sie ist gleichzeitig tief traurig, dass sie die Gefühle ihres Mannes nicht nachvollziehen konnte. „Er war so einsam, ich bin es jetzt auch.“ Die schrecklichen Bilder. Rita kann das Bild nicht vergessen, wie sie ihren Mann gefunden hat. Wieder und wieder zieht dasselbe Bild vorbei, gepaart mit den in der Situation erlebten Gefühlen des Schreckens, der Angst und der Hilflosigkeit. Menschen, die traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt waren, können auch noch Jahre später aufgrund eines Auslösers innerhalb von Sekunden solche „Flashbacks“ (Bilder und Gefühle aus dem Trauma) wieder erleben.
Hilfe
Am Anfang hilft den Angehörigen am meisten ganz praktische Hilfe: zum Beispiel jemand, der jeden Tag ein Mittagessen bringt und ein Weilchen da ist. Dadurch erleben sie, dass sie nicht allein mit ihrer schweren Last sind, sondern geborgen in der Gemeinschaft. Auch wenn man vielleicht Angst hat, etwas falsch zu machen, ist es wichtig, wieder und wieder mit den Angehörigen des Verstorbenen ganz „normal“ über den Tod zu reden, wenn diese das möchten. Nach einem Suizid kann die Trauer auch verspätet kommen. Dann soll noch Platz dafür sein. Freunde und Nachbarn sind wichtig, um den Angehörigen wieder ein Gefühl von „Normalität“ zu geben. „Auch wenn in mir drinnen der Schrecken wohnt, freue ich mich, dass meine Nachbarin mich immer am Abend zum Walken abholt“, erzählt Rita. „Das holt mich ein Stückchen heraus in die Welt.“
Selbsthilfegruppe für Angehörige nach Suizid in OÖ: www.suizidpraevention.at