"Mr. Turner", der neue Film von Regisseur Mike Leigh über den englischen Maler William Turner, überzeugt mit einem vielversprechenden Einstieg. Dann wird er konventionell.
25.11.2014 - Markus Vorauer
Der Vorspann und die erste Sequenz sind vielversprechend: Während auf der linken Bildhälfte die Namen der am Film Beteiligten in ansprechenden Lettern eingeblendet werden, dringen vom rechten Rand immer größer werdende Farbtupfer ins Bild. Sie vermischen sich im Rhythmus der unterlegten Musik und verdrängen die Schrift nach und nach. Fließend wird in eine Landschaft übergeblendet, wo hinter einer Windmühle die Sonne gerade aufgeht. Die Kamera erfasst in einer langen Fahrt zwei Bäuerinnen an einem Fluss bei ihrem morgendlichen Tratsch. Doch sie sind nicht der Brennpunkt des Interesses. Vielmehr stoppt die Bewegung der Kamera genau in dem Augenblick, als auf der anderen Seite des Flusses im Gegenlicht die Silhouette eines Mannes mit Zylinder ins Bild gerät, der gerade diesen Tagesanbruch mit einem Pinsel festhält.
Ein ansprechender Beginn
In diesem Beginn werden die Potenziale des Films auf ansprechende Weise ausgestellt: Die Kinematographie ist eine Bewegungsschrift und die Kamera ihr Aufzeichnungsgerät. So führt Mike Leigh in seinem neuen Film "Mr. Turner" einen Maler ein, dessen Werk sich folgendermassen auszeichnet: Es reagierte auf die Veränderungen der Wahrnehmungen, die sich durch Eisenbahn und Fotografie gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ergaben, auf einzigartige Weise. Turner nimmt in seiner Kunst etwas vorweg, das in zwei zentrale Fragestellungen mündet, mit denen sich viele Maler nach ihm konfrontieren müssen: Welche Möglichkeiten hat die Malerei, die die Fotografie nicht hat? Wie lässt sich Geschwindigkeit festhalten? In den restlichen 145 Minuten seines Films gewinnt leider Leigh seinem Medium und dem Verhältnis von Malerei und Film nicht mehr die Aussagekraft ab wie in diesen einleitenden fünf Minuten.
Der Maler in seinem Umfeld
Nicht die Malerei und deren Integration im filmischen Diskurs stehen im Mittelpunkt des Interesses, sondern der Mensch Turner in seinem Umfeld. Darin liegt auch die Stärke dieses Regisseurs, in der präzisen Wiedergabe eines sozialen Kontextes, in dem ein nicht immer sympathisch agierender Protagonist bestehen muss.
"Mr. Turner" ist auch keine konventionelle Filmbiographie (Biopic). Der Zuschauer erfährt nur bruchstückhaft, was sich 1775 bis 1836 im Leben von Turner ereignet hat. Die Narration setzt erst 1826 ein, als Turner schon renommiertes, aber exzentrisches Mitglied der Royal Academy ist und einige wohlgesonnene Förderer ihm durchaus angenehme Lebensumstände ermöglichen. Leigh verfährt aber auch in der Folge sehr elliptisch, der Lebensweg, der immer mehr in eine Außenseiterrolle mündet, wird episodenartig geschildert.
Die Beziehungen des Mr. Turner
Zuerst fokussiert Leigh die von großem Respekt geprägte Beziehung zwischen Turner und seinem Vater, dessen Rolle als Zuarbeiter nach seinem Tod die Haushälterin Hannah übernimmt, die den Maler verehrt, obwohl er sie immer wieder sexuell demütigt. Immer wieder begibt sich Turner in das Küstenstädtchen Margate, das ihn an seine Schulzeit erinnert, aber vor allem wegen der besonderen Lichtverhältnisse auf ihn inspirierend wirkt. Dort wohnt er im Haus einer Witwe, mit der er eine Liebesbeziehung beginnt, die bis ans Ende seines Lebens anhält. Künstlerisch wird Turner immer radikaler, entfernt sich immer mehr von der gegenständlichen Malerei, was einerseits zur Bewunderung führt. Ein Millionär macht ihm beispielsweise ein Angebot, sein Gesamtwerk um 100.000 Pfund erstehen zu wollen, was Turner aber mit dem Hinweis darauf ablehnt, es der britischen Nation zu vermachen, damit es gratis öffentlich zugänglich ist. Anderseits stößt er bei vielen auf Unverständnis. Queen Victoria nennt eines seiner Bilder „abscheulich“, es sei „schmutziges gelbes Geschmiere“. In Theateraufführungen macht man sich über ihn lustig.
Großes Ausstattungskino
Trotz dieser narrativen Zergliederung wirkt der Fortgang doch immer sehr konventionell. Dass die Performance von Timothy Spall, der die Widersprüche dieser Figur überzeugend zu vermitteln weiß, großartig ist, braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden. Auch das hat Tradition, dass nämlich bedeutende Künstler von Schauspielern dementsprechend ins Bild gesetzt werden. Am überzeugendsten ist Mike Leigh aber wie immer in der präzisen Wiedergabe des sozialen Kontextes, die Konfrontation der aufkommenden Industrialisierung mit der konservativen viktorianischen Gesinnung wird besonders anschaulich dargestellt. Großes Ausstattungskino also, trotzdem, angesichts des Beginns bleibt der Eindruck, dass mehr möglich gewesen wäre.