Luxemburg ersetzt den Religionsunterricht durch einen allgemeinen Werteunterricht. Diese und andere Entwicklungen setzen den nach Konfessionen unterrichteten Religionsunterricht auch bei uns unter Druck. Doch man kann solchen Tendenzen offensiv begegnen, argumentiert der Religionspädagoge Alexander van Dellen.
Ausgabe: 2017/06
07.02.2017 - Heinz Niederleitner
Religionsunterricht werde „in unseren heutigen Zeiten eher wichtiger als weniger wichtig“. In dem Fach gehe es um Gewissens- und Herzensbildung und um „mehr als nur unser eigenes Leben, nämlich auch um den großen Zusammenhang des Lebens als Geschöpfe Gottes.“ Das sagte kein Religionsvertreter, sondern jüngst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Solch ein Bekenntnis hat aber einen Hintergrund, der darüber hinausgeht, dass Merkel die Tochter eines evangelischen Pfarrers ist. „In Deutschland hat es zum Beispiel von der katholischen Kirche deutliche Stellungnahmen dazu gegeben, was der Religionsunterricht ist und welches Ziel er verfolgt“, sagt Alexander van Dellen. Der Universitätsassistent für Religionspädagogik an der Universität Innsbruck verweist dabei auf die Würzburger Synode (1971–1975).
Keine „Rekrutierung“
Damals habe die katholische Kirche in Deutschland die Aufgabe und Ziele des Religionsunterrichts neu definiert. Man sei von der unrealistischen Annahme abgegangen, es mit ohnehin religiös sozialisierten Schüler/innen zu tun zu haben, die man nur etwas tiefer in die Tradition der Kirche einführen müsse. Stattdessen sei der Religionsunterricht als selbstloser Dienst der Kirche an den jungen Menschen beschrieben worden, die mit unterschiedlichem Hintergrund in diesen Unterricht gingen, sagt van Dellen. Dieser Dienst der Kirche solle es ihnen ermöglichen, „gut in dieses Leben hineinzuwachsen“, er solle Lebenshilfe sein. Die Schüler/innen sollten befähigt werden, in religiösen und weltanschaulichen Fragen Entscheidungen zu treffen. Natürlich gehe es weiterhin auch um die Vermittlung religiösen Wissens, aber nicht mehr darum, primär Schüler für die Kirche zu „rekrutieren“. Das würde den Religionsunterricht überfrachten, sagt der Theologe.
Und in Österreich?
„Eine derart klare Stellungnahme hat es seitens der Bischöfe in Österreich nie gegeben“, bedauert van Dellen. Dabei brächte ein klares und öffentliches Bekenntnis zur Auffassung des Religionsunterrichts nach dem Würzburger Synodenbeschluss viele Vorteile. Das beginnt bei jenen, die den Unterricht erteilen: „Die Religionslehrer/innen fühlen sich von der Kirche oftmals im Stich gelassen, wenn dauernd der leise Vorwurf kommt: ‚Wo sind jetzt die jungen Leute in der Kirche?‘“, sagt van Dellen, der selbst Religion an Neuen Mittelschulen und an einer HAK unterrichtet. Dass es – von Initiativen des einstigen Schulbischofs Helmut Krätzl abgesehen – nie eine grundsätzliche und offizielle Stellungnahme zum Thema gegeben habe, führe zur Verunsicherung und schwäche die Stellung des Religionsunterrichts.
Nach außen wäre es wichtig, das falsche Bild zu widerlegen, wonach der Religionsunterricht auf eine „Indoktrinierung“ und Missionierung abziele, sagt der Experte van Dellen. „So etwas gibt es nur mehr in ganz wenigen Einzelfällen.“ Es müsste deutlich gemacht werden, was der Religionsunterricht für den Einzelnen und für die ganze Gesellschaft leiste. Das sei notwendig, weil der Druck auf den Religionsunterricht steige.
Einerseits gibt es einen wachsenden Vorbehalt gegen Religionen allgemein, auch hinsichtlich eines befürchteten Gewaltpotentials. Andererseits wird gefragt: Warum soll der Staat den Religionsunterricht bezahlen? Verwiesen werden muss nur auf das sogenannte „Kirchenvolksbegehren“ einer Initiative gegen angebliche Kirchenprivilegien.
Ethikunterricht
Aber gab es da nicht seit 1997/98 einen Schulversuch mit Ethikunterricht für jene, die sich vom Religionsunterricht abmelden? „Den gibt es nach wie vor“, sagt van Dellen. „214 Schulstandorte bieten an höheren Schulen im laufenden Schuljahr den Unterrichtsgegenstand ‚Ethik‘ an, aber seit 2013/14 sind keine weiteren dazugekommen.“ Ethikunterricht als Konkurrenz zum Religionsunterricht zu sehen, sei heute gar nicht mehr sosehr ein Thema, sagt der Theologe. „Wo Ethikunterricht angeboten wird, melden sich durchschnittlich weniger Schüler/innen als befürchtet vom Religionsunterricht ab. Die Herausforderungen heute liegen eher in der gesellschaftlichen Säkularisierung sowie der religiösen Pluralisierung. Zusammenarbeit zwischen Konfessionen und Religionen beim Religionsunterricht sind daher ein Gebot der Stunde.“ In Ostösterreich gibt es da schon konkrete Projekte. Und auch bei der Religionslehrerausbildung wird zum Beispiel in Innsbruck und Wien kooperiert.
Das ist auch eine Zukunftsfrage: „Die Vertreter der Religionen müssen erkennen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Wenn es uns gelingt zu vermitteln, welchen Beitrag Religionen für ein friedliches Zusammenleben spielen können, und wir dazu auch an unseren Schulen vermehrt kooperative Modelle religiösen Lernens umsetzen, mache ich mir keine Sorgen um den nach Konfessionen organisierten Religionsunterricht. Gelingt uns das nicht, könnte die Politik eines Tages zu einem staatlich organisierten Ethik- und Religionenunterricht übergehen. Für mich wäre das kein gutes Zukunftsmodell, aber genau das könnte uns dann bevorstehen“, warnt van Dellen.
Zur Sache
Teilnahme am Religionsunterricht
Laut Alexander van Dellen erfreut sich derzeit der nach Konfessionen getrennte Religionsunterricht zumindest bei Katholiken großer Akzeptanz: Von den rund 70 Prozent der katholischen Schüler/innen in öffentlichen Schulen – quer durch alle Schularten und Bundesländer gerechnet – würden beinahe 92 Prozent den Religionsunterricht besuchen. An Pflichtschulen seien es 98 Prozent, in AHS 85 Prozent und in den berufsbildenden höheren Schulen (HAK, HTL, HBLW ...) 80 Prozent. Ausruhen dürfe man sich angesichts dieser Zahlen aber nicht, sagt van Dellen.