Bischofsvikar Johann Hintermaier wusste schon lange, dass er eine Knochenkrankheit in sich trägt. Im Frühjahr 2015 ist sie ausgebrochen. Und trotzdem ist er reich beschenkt worden, sagt er. Von den Menschen und von Gott.
Ausgabe: 2016/02, Hintermaier, Knochenkrankheit, Kirche
12.01.2016 - Christine Grüll
Als Johann Hintermaier an einem Frühlingsabend starke Kopf- und Kreuzschmerzen verspürte, dachte er noch an eine Verkühlung. Zwei Tage später ging er zum Arzt. Gehirnhautentzündung lautete die Diagnose. Doch der Blutbefund zeigte noch etwas anderes. Die gefährliche Zellerkrankung, das Multiple Myelom, die ihm schon vor mehr als zehn Jahren nach einer Untersuchung vorausgesagt worden war, hatte sich im Knochenmark ausgebreitet. Sie droht, Organe und Knochen zu schädigen. Wochenlang wurde er behandelt, im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz, dann bei den Barmherzigen Schwestern. Die Gehirnhautentzündung heilte. Die Chemotherapie begann. Das alles war ein Schock. Johann Hintermaier hatte sich gesund und kräftig gefühlt. Er stand mitten in seinen Aufgaben in der Diözese Linz – Bischofsvikar für Bildung, Regens des Priesterseminars, Dozent an der Katholischen Privatuniversität. Und nun gehören die Schreckenswörter Krebs und Chemotherapie zu seinem Leben.
Hauptsache, nicht allein
„Mittlerweile weiß ich, dass nicht gleich das Chaos ausbricht“, sagt Dr. Johann Hintermaier. In seinem Büro im Priesterseminar erzählt er mit großer Ruhe von den letzten Monaten. Vieles ist ihm bewusst geworden. „Hauptsache gesund, ist nicht die Hauptsache. Denn dann ist jeder, der nicht gesund ist, minderwertig. Die Hauptsache ist, nicht allein zu sein.“ Dass er nicht allein ist, haben ihm unglaublich viele Menschen vermittelt. Von Vertretern aus Pfarren und Institutionen, von Politik, Wirtschaft, Kirche und vielen Privatpersonen hat er Genesungswünsche und Besuche erhalten. Die Fülle hat ihn überrascht und gefreut. Gebete für ihn haben ihn getragen. Und noch etwas hat sich inmitten von Angst und Schmerz als tragfähig erwiesen: der Glaube an Gott. „Der Gottesname ICH BIN DA ist der Schlüsselbegriff schlechthin, und nicht, dass Gott alles von uns fernhält“, sagt Johann Hintermaier. Sätze aus der Schöpfungsgeschichte, oft gesagt, berühren ihn nun ganz persönlich – Gott, der Lichtbringer in der Dunkelheit, der Schöpfer, der Ordnung ins Chaos bringt und davor bewahrt, sich in der Verwirrung von Gott zu lösen. „Das hat mich begleitet. Nicht mein Glaube hat mich getragen, sondern unser Glaube – danke!“
Zeit für Begegnung
Seine Krankheit in der Kirchen-Zeitung öffentlich zu machen, das hat Bischofsvikar Hintermaier zuerst zaudern lassen. Trotzdem spricht er über die tiefe Dimension seiner Erfahrungen. Er wurde aufgefangen. Er konnte selbst etwas geben: Zeit, für andere da zu sein. „Für die 30 Meter von meiner Wohnung zu meinem Büro habe ich bis zu eineinhalb Stunden gebraucht“, sagt der Regens, „weil ich Zeit für Gespräche hatte.“ In den letzten Monaten hat er Termine reduziert. Ruhephasen sind notwendig. Das hat ihm die Augen für das eigentliche Wesen der Seelsorge wieder geöffnet. „Der Priesterberuf und alle seelsorglichen Berufe sind heute stark von einer Tun-Haltung geprägt. Es braucht natürlich Struktur und Aktion, um Begegnung zu ermöglichen. Aber wir brauchen Zeit, damit die Begegnung auch Wirklichkeit wird“, sagt Johann Hintermaier. Von Gott und den Menschen fühlt er sich beschenkt. Er ist dankbar für die Gnade, dass er nicht verzweifelte. Er konnte auf Gott vertrauen und bei der Krankensalbung um Hilfe beten. Und er ist dankbar für das, was ist. Defizite belasten ihn nicht. Dabei hat ihm ein Gedanke geholfen: „Das neue Maß von 100 Prozent ist kleiner geworden. Aber was ich auch tue, es sind immer 100 Prozent dessen, was mir möglich ist“, bringt er es lächelnd auf den Punkt.
Der Moment zählt
Jetzt ist Johann Hintermaier geheilt. Doch nach momentanem Stand der Medizin ist die Krankheit chronisch. Sie kann wiederkehren. Die regelmäßigen Untersuchungen werden ihn an seinen Wunsch für dieses Jahr erinnern. Die Vertiefung im Glauben und in der Begegnung soll bleiben und nicht so schnell zwischen den Fingern verrinnen. „Im Hier und Jetzt zu leben, das ist nicht nur ein weiser Satz. Das ist wichtig.“