Soll man lieber aufhören, bevor es zu spät ist, oder durchhalten bis zum Umfallen? Die Psychologin Christa Schirl hat Antworten auf die Fragen, warum Schlussmachen so schwerfällt, Aufgeben Angst macht und ein Neubeginn befreiend sein kann.
Ausgabe: 2017/48
28.11.2017 - Brigitta Hasch
„Ich habe mir nun einmal vorgenommen, einen Marathon zu laufen, da halten mich auch die Schmerzen nicht ab!“ Durchhaltevermögen gilt als positiver Charakterzug. Unbeirrt das Ziel im Auge behalten und nicht die Flinte ins Korn werfen – das wird sowohl privat als auch im Job häufig gefordert. Doch dieses Ideal kann schnell zu negativen Folgen führen. Noch bevor es der Verstand begreift, zeigt es meist der Körper, dass man seine Grenzen überschritten hat. In der Hoffnung auf Erfolg oder Glück lässt man oft zu spät zu, was Kopf, Herz und Kreislauf schon längst anzeigen: „Lass los!“
Werte sind wichtiger als Ziele
„Der Blick auf ein Ziel, das wir unbedingt erreichen wollen oder müssen, macht es uns so schwer, eine Sache zu beenden“, erklärt die Psychologin Christa Schirl, „eigentlich sollten wir uns aber an der inneren Stimmigkeit orientieren.“ Ob etwas stimmig ist, hat nichts mit richtig oder falsch zu tun. Das ist sehr subjektiv und entspricht einfach einem Abgleich mit den eigenen Werten. Ein Ziel zu erreichen oder nicht, ist zweitrangig.
Was hindert am Loslassen?
Obwohl man spürt, dass man auf dem falschen Weg ist, ist man oft noch nicht reif für eine Veränderung. Ein möglicher Grund dafür ist, dass man Angst hat, sich ein Scheitern einzugestehen. Es kann aber auch sein, dass man aus übereifrigem Perfektionismus eine Sache eben bis zum Ende „durchziehen“ möchte und sich dabei keinen Fehler erlauben will. Für Schirl sind dies klassische Fallen, warum manche Menschen nicht loslassen können. „Man muss aber auch richtig stehen bleiben und sich umsehen: Wo stehe ich? Wohin führt mich mein Weg?“, weiß die Psychologin. Wer sich selbst erlaubt, Erfahrungen zu sammeln, kann dabei auch Fehler machen und dann heißt es: Kurskorrektur.
Wie lässt man los?
Um seiner selbst willen und auch aus Respekt vor den anderen sollte man nicht alles auf einmal stehen und liegen lassen. Eine Lösung Schritt für Schritt ist weniger belastend und der Boden unter den Füßen gerät dabei nicht so schnell ins Wanken. Oft ist auch eine Art von Selbsttäuschung notwendig, wie man es aus der Fabel „Der Fuchs und die sauren Trauben“ kennt. Als der clevere Fuchs die süßen Früchte ganz oben am Rebstock nicht erreichen kann, erklärt er sie kurzerhand als „nicht reif genug“. Mit dieser Strategie der Bewältigung erhält man sich ein positives Selbstbild, sagen Psychologen. Hilfreich ist jedenfalls, sich neue Wege zuzutrauen, etwas anderes auszuprobieren und sich dabei nicht von unerreichbaren Träumen leiten zu lassen. „Planen Sie auch nicht zu weit in die Zukunft“, rät Christa Schirl, „denn wer sehr weit nach vorne schaut, muss eigentlich damit rechnen, das etwas Unvorhergesehenes die Pläne durchkreuzt.“ Werte sind beständiger als ferne Ziele, daher sind die eigenen Signale die wichtigsten. Wer sich danach orientiert und von Zeit zu Zeit kleine Veränderungen zulässt, dem bleibt die große Entscheidung zwischen Durchhalten und Loslassen wohl eher erspart.
„Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen.“ Blaise Pascal, französischer Mathematiker, Physiker, Literat und christlicher Philosoph (1623–1662).