„Künstler müssen weit über den Tellerrand hinausblicken“
Die Schauspielerin Katharina Stemberger ergreift oft leidenschaftlich das Wort, wenn es um soziale und gesellschaftspolitische Anliegen geht. Mit der KirchenZeitung sprach sie über Kürzungen im Kulturbereich und warum sie auf einer Bühne glücklich ist.
Ausgabe: 2017/46
15.11.2017
Kürzlich haben Sie in Wels beim Gedenken an die Gewalt gegen Juden im November 1938 gesprochen. Warum ist Ihnen das ein Anliegen? Katharina Stemberger: Eine Zeitzeugin hat mir einmal gesagt: „Wozu haben wir das alles erlitten, überlebt, sind so alt geworden, haben so viel erzählt – wenn ihr nichts daraus lernt?“ Das fasst es gut zusammen. Mein Interesse liegt darin, die Parallelitäten zu heute sichtbar zu machen. Es gibt eine starke Desensibilisierung, was Fragen des Rassismus angeht. Wenn ich mir anschaue, in welcher Art sich unser Parlament jetzt zusammensetzt, erfasst mich eine gewisse Beunruhigung. Manche der Politiker haben anlässlich der Novemberpogrome 1938 Schwierigkeiten, sich zu bekennen. Da frage ich mich, warum das nicht gesehen wird. Das sind keine Kavaliersdelikte, da geht es um Grundsätzliches.
In Kunst und Kultur hat sich oft Widerstand gegen unsoziales Verhalten in Politik und Gesellschaft geformt. Warum ist das so? Stemberger: Auf der einen Seite sind sehr viele Künstler Lebenskünstler, wenn wir deren wirtschaftliche Situation betrachten. Das führt dazu, dass man ein solidarisches Gefühl für andere Menschen hat, die sich auch nach der Decke strecken müssen. Das andere ist, dass wir Geschichtenerzähler sind. Ob wir uns mit Shakespeare-Dramen beschäftigen oder mit einer Performance zum Thema „Schließung der Mittelmeerroute“, wir beschäftigen uns ständig mit Schicksalen. Die Kunst hat immer aus der Geschichte geschöpft und Geschichten erzählt und deshalb gibt es eine größere Sensibilität dafür, wohin Entwicklungen führen können. Künstler müssen auch immer weit über den Tellerrand hinausblicken. Nicht jeder Beruf verlangt diese Fähigkeit.
Wie stehen Sie zu Kürzungen in Kulturbudgets? Stemberger: Naturbedingt finde ich das ganz schlimm. Wir brauchen die Kunst als Spiegel, als Reibungsfläche, als Irritation. Was wir tun, ist Auseinandersetzung für den Geist und Futter für die Seele. Kürzungen entziehen den Künstlern ihre Lebensgrundlage und sie führen zwangsläufig zu einer Kommerzialisierung. Der ehemalige niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll wurde einmal gefragt, warum er eine kleine Kulturinitiative fördert. Er hat gesagt, wenn jemand die Möglichkeit hat, sich mit der Kunst in seinem Viertel auseinanderzusetzen, dann bekommt er Wurzeln und lernt etwas über sich selbst. Das ist identitätsfördernd und diese Menschen haben weniger Angst, wenn etwas kommt, das fremd ist. Ich war mehrmals beim Forum Alpbach. Da werden jährlich Gespräche darüber geführt, wie wir leben wollen und wo es auf einer europäischen Ebene hingehen soll. Es geht um Gesundheit, Politik und Wirtschaft – die Kunst kommt nicht vor! Deswegen ist es leicht, an ihr zu kürzen, weil sie noch immer kein integrierter Teil unseres Weltbildes ist.
Was schöpfen Sie aus Ihrem künstlerischen Leben? Stemberger: Ich komme auf eine Bühne und bin glücklich. Hier kann ich etwas geben. Ich glaube, es ist jedem Menschen innewohnend, etwas für die Gemeinschaft beizutragen und damit Teil zu werden. Ich bin sehr verspielt und neugierig und mag das Risiko. Auf der Bühne hat man das alles. Das kann auch schiefgehen. Damit ist man sehr im Jetzt. Das ist eine Frage der Lebendigkeit.