Großkonzerne diktieren der Politik die Spielregeln
Hinter verschlossenen Türen wird zwischen EU-Kommission und US-Regierung über das Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) verhandelt. Warum das Abkommen vor allem mehr Macht für Großkonzerne bedeutet, erklärt der evangelische Priester Christian Wolff.
Ausgabe: 2014/18, TTIP, Strickner, Obama, Wolff
29.04.2014 - Interview: Susanne Huber
Wann haben Sie das erste Mal vom Freihandelsabkommen TTIP gehört? Christian Wolff: Das war im Zusammenhang mit dem Obama-Besuch in Berlin im Juni 2013, habe mir da aber noch keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Ich bin erneut darauf gestoßen worden durch Gespräche mit Leuten, die gefragt haben, ob mir bewusst ist, was uns da droht. Und so habe ich mich intensiver damit beschäftigt und ich dachte, das darf alles nicht wahr sein. Hier ist etwas, das unter der Decke gehalten werden soll. Das ist nicht in Ordnung. Sie sprechen die geheimen Verhandlungen an ... Christian Wolff: Ja. Gegen den Abbau von bürokratischen Hemmnissen oder gegen den Abbau von Zöllen habe ich grundsätzlich nichts. Meine Kritik geht dahin, dass dieses Abkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt wird. Wichtige gesellschaftliche Gruppen wie NGOs, Gewerkschaften, Verbraucher- oder Umweltschutzorganisationen und vor allem nationale Parlamente und das EU-Parlament sind von den Verhandlungen ausgeschlossen. Das heißt, es fehlt die parlamentarische Kontrolle. Das ist ein undemokratischer Vorgang, der meines Erachtens mit der europäischen Idee und mit unseren Verfassungen nicht vereinbar ist. Diese bewusste Nichtinformation wird von manchen auch noch gerechtfertigt.
Von wem zum Beispiel? Christian Wolff: Reinhold Festge, der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, hat in der „Wirtschaftswoche“ zur fehlenden öffentlichen Debatte gesagt, „der Normalbürger kann diese hochkomplexen Sachverhalte doch gar nicht beurteilen.“ Dieser Satz bringt eine Haltung zum Ausdruck, die besagt, wir wissen schon, was für den Bürger gut ist, kümmert euch mal nicht darum. Und das ist die Aushebelung der Demokratie. Über diese „hochkomplexen Zusammenhänge“ machen sich viele Bürgerinnen und Bürger ihre Gedanken und wollen daran beteiligt sein.
Vieles, das in den USA erlaubt ist, könnte es durch TTIP zukünftig auch in Europa geben. Die Rede ist u. a. von mit Chlor desinfizierten Schlachthühnern. Sind diese Befürchtungen gerechtfertigt? Christian Wolff: Die Vereinheitlichung von Standards im Umweltschutz, in der Gesundheitspolitik, im Arbeitsrecht unter Ausschluss der Bürgerbeteiligung führt dazu, dass Rechte abgebaut und dadurch bestimmte Errungenschaften letztlich ausgehebelt werden können. Denken wir an die Energiepolitik. Das so genannte „Fracking“ – die umstrittene Energiegewinnung von Erdgas aus Tiefengesteinsschichten unter Einsatz giftiger Flüssigkeitsmischungen. In vielen Ländern der EU ist es verboten, in Österreich z. B. noch nicht. Es wird aber vom Großteil der Bevölkerung strikt abgelehnt. Durch TTIP könnte ein Fracking-Verbot wegen dem großen wirtschaftlichen Interesse daran unterbunden werden. Denken wir auch an gentechnisch veränderte Produkte, die derzeit in Europa verboten sind, in den USA aber nicht, und über ein solches Abkommen ins Land kommen. Und wenn sich ein Staat dagegen wehrt, dann tritt ein weiterer Kritikpunkt im Hinblick auf TTIP ein, nämlich dass dann Unternehmen Staaten auf Schadenersatz verklagen können.
Da geht es um den so genannten Investitionsschutz, der ebenfalls im Freihandelsabkommen verankert werden soll ... Christian Wolff: Ja. Da steht zwar ein durchaus berechtigter Gedanke dahinter, denn wenn ein Unternehmer im Ausland investiert, dann muss er auch die Gewähr dafür haben, dass die Gesetzmäßigkeiten, unter denen er investiert, sich nicht im Laufe der nächsten Jahre so verändern, dass seine Investitionen sich sozusagen in nichts auflösen. Beim Freihandelsabkommen ist jedoch vorgesehen, dass große Konzerne Länder auf hohe Entschädigungszahlungen klagen können, wenn ihnen Gewinne entgehen würden, weil sie bestimmte Produkte, die sie herstellen wollen, nicht herstellen dürfen – beispielsweise wegen durch den Staat verschärfter Umweltgesetze. Dafür vorgesehen sind so genannten Schiedsgerichte, die wiederum der öffentlichen und demokratischen Kontrolle entzogen sind, weil es sich nicht um nationale Gerichte, sondern um internationale privatwirtschaftlich agierende Schiedsgerichte handelt. Und damit werden Staaten erpressbar.
Wegen der zunehmenden Kritik an den geheimen Verhandlungen hat die EU-Kommission Ende März eine öffentliche Online-Konsultation über diesen Investorenschutz in TTIP gestartet. Was halten Sie davon? Christian Wolff: Das ist ein kleiner Beteiligungspunkt, hier kann man bis 21. Juni zwölf Fragen beantworten und Überlegungen einbringen. Man reagiert da jetzt ein bisschen auf die öffentliche Kritik. Doch als demokratische Beteiligung sehe ich das noch nicht an, zumal ja die Parlamente bis jetzt überhaupt nicht damit befasst sind.
Warum denken Sie wird ein solches Abkommen zwischen der EU und den USA verhandelt? Christian Wolff: Sie versprechen sich von dem Abkommen mehr Arbeitsplätze, ein enormes Wirtschaftswachstum, ein höheres Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmern. Doch im Grunde sind das Milchmädchenrechnungen. Ob es das Freihandelsabkommen gibt oder nicht, hat z. B. laut dem IFO-Institut München keine gravierenden Auswirkungen im Hinblick auf mehr Arbeitsplätze. Aber letztlich geht es darum, dass die Konzerne bestimmen wollen, wie der Handel laufen soll. Deshalb ist es ganz wichtig, das geplante Abkommen öffentlich und parlamentarisch zu debattieren und in dieser Form zu verhindern. Es braucht dafür einen demokratischen Prozess. Die Europawahl steht vor der Tür. Machen wir doch TTIP zum Wahlkampfthema.
Große Bedenken gegen TTIP
Kirchliche Organisationen und NGOs machen gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) mobil. Größere Macht und Einflussnahme für Großkonzerne auf der einen Seite, Lohndumping, Qualitätsverlust und das Fortführen umweltzerstörerischer Wirtschaftsformen für einzelne Staaten und deren Bewohner auf der anderen Seite: Das sind laut Alexandra Strickner, Obfrau von Attac-Österreich, einige der drohenden Folgen des Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft), das zwischen Vertretern der EU und der USA derzeit hinter verschlossenen Türen verhandelt wird.
Geheimhaltung
Die fehlende Transparenz der Verhandlungen sieht Strickner besonders kritisch. Den Bürgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen würden bewusst Informationen vorenthalten; Großkonzerne seien dagegen aber sehr wohl in den Verhandlungsprozess eingebunden, so Strickner. Auch von Seiten der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für Entwicklung und Mission (KOO) kommt Kritik. So warnte Heinz Hödl, Geschäftsführer der kirchlichen EZA-Fachstelle, u. a. davor, dass die am wenigsten entwickelten Länder durch TTIP mühsam erreichte Marktzugänge wieder verlieren, zumindest aber massive Wettbewerbsnachteile bekommen würden. Hochrangige Beamte verhandeln. Schon Mitte der 1990er Jahre wurde versucht, ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU in die Wege zu leiten. Das so genannte Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) ist jedoch gescheitert. Die Pläne dazu sind von Politikern allerdings nie fallen gelassen worden. Die konkreten Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP haben im Juni 2013 begonnen. EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso verkündete gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama, dem Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy und dem britischen Premierminister David Cameron die Aufnahme der Verhandlungen. Geführt werden sie von hochrangigen Beamten der US-Regierung und der EU-Kommission. An der Spitze stehen Ignacio Bercero (EU) und Dan Mullaney (USA) als Verhandlungsführer.
Bürgerinitiative
Im Rahmen einer Bürgerinitiative gegen TTIP, die von Menschenrechts- und Umweltorganisationen wie Attac, Südwind, Global 2000 oder Fian ins Leben gerufen wurde, soll europaweit Protest entfacht und gebündelt werden. Außerdem soll das Thema im EU-Wahlkampf zur Sprache gebracht werden, zumal die Ende Mai neu gewählten Abgeordneten bei der Ratifizierung des Abkommens eine zentrale Rolle spielen. Unterstützt wird die Bürgerinitiative von kirchlichen Verbänden und Organisationen wie der Katholischen Frauenbewegung, der Katholischen Jungschar oder der Katholischen Arbeitnehmerbewegung.