„Katholische Kirche muss in der Aufarbeitung der NS-Zeit viel nachholen“
Ari Rath erinnert an die dunkle NS-Vergangenheit und mahnt vor den Gefahren des heutigen Rassismus. Im Interview thematisiert der 89-jährige Zeitzeuge die problematische Rolle der katholischen Kirche unter der Naziherrschaft.
Ari Rath ist 13, als seine Kindheit plötzlich zu Ende ist und er vor den Nazis nach Palästina flüchten muss. Heute ist er einer der letzten Zeugen der NS-Zeit. Vergangenen Mittwoch gastierte er an der Neuen Mittelschule Harbach in Linz. „In zwei Jahren dürft ihr wählen. Setzt euch für ein liberales, demokratisches Österreich ein“, beendet er den Vortrag mit einen Appell an die 14-jährigen Schüler/innen. Wie er den Antisemitismus erlebte und warum besonders die katholische Kirche noch immer viel aufzuarbeiten hat, sagte er Paul Stütz.
Herr Rath, beginnen wir das Interview. Ari Rath: Wir müssen zuerst über die Rolle der katholischen Kirche sprechen.
Passt, fangen wir damit an. Rath: Papst Johannes Paul II. hat sich im Jahr 2000 für das entschuldigt, was die katholische Kirche dem jüdischen Volk angetan hat. Das war mutig. Aber es besagt auch alles.
Es gab einige katholische Priester, die sich gewehrt haben gegen das NS-Regime. Gleichzeitig hat sich die offizielle Kirche teilweise nicht ausreichend distanziert. Was wiegt für Sie schwerer? Rath: Ich möchte daran erinnern, dass Kardinal Theodor Innitzer Herrn Hitler mit großem Segen im Hotel Imperial empfangen hat. Dann gab es einen Hirtenbrief von Innitzer, den alle Landesbischöfe unterschrieben haben, in dem er sich für den Anschluss Österreichs an Deutschland ausgesprochen hat. Es gab sicher einige, die versucht haben Menschen zu retten, aber im Großen und Ganzen, befürchte ich, hätte die katholische Kirche mehr tun können. Leider hat der tief verwurzelte Antisemitismus der katholischen Kirche dazu beigetragen, dass nach dem Anschluss sich so viel Schlimmes ergeben hat, dass Judenverfolgung möglich wurde. Sie kritisieren in Ihren Vorträgen auch die Rolle des Vatikans nach Ende des Weltkriegs. Rath: Nach 1945 hat der Vatikan Hunderten, wenn nicht Tausenden SS-Schergen und führenden Nazis geholfen mit falschen Papieren zu flüchten. Zum Beispiel konnte der in Linz aufgewachsene NS-Verbrecher Adolf Eichmann durch Hilfe des Vatikans als Riccardo Klement nach Argentinien ausreisen. Wie erklären Sie das in Ihrer KirchenZeitung, dass der Vatikan nach 1945 so vielen NS-Verbrechern zur Flucht verholfen hat? Schreiben Sie das, wie erklären Sie das?
Schreiben ja, erklären ist schwierig. Es war jedenfalls klar ein menschliches Versagen, das kann man nicht anders nennen. Rath: Das ist schon etwas. Ich fürchte, dass die katholische Kirche in der Aufarbeitung noch sehr viel nachholen muss. Es ist noch nicht genug getan worden. Zweifellos war die katholische Kirche die historische Wurzel des jahrhundertelangen Antisemitismus.
Die Aufarbeitung in Hitlers Geburtsstadt Braunau ist auch schwierig. Was soll man mit Hitlers Geburtshaus tun? Rath: Meiner Meinung soll ein Teil des Hauses ein Museum sein, das die schlimmsten Verbrechen der Nazi-Zeit beweist.
Sie halten Vorträge über die Nazi-Zeit an Schulen. Ist es ein gutes Gefühl für Sie, das alles erzählen zu können? Rath: Ja, ich mache das wirklich gern.
Sie sind optimistisch, dass diese junge Generation genug informiert, politisch wach ist? Rath: Ich fürchte, noch nicht genug. Für mich war der Schritt nicht durchdacht, das Wahlalter auf 16 zu senken. Die Jugendlichen müssen in der politischen Erkenntnis noch viel nachholen. Zum Beispiel: Meistens sagt Schülern der Name Adolf Eichmann nichts. In Österreich hat man sehr spät mit der Erinnerungsarbeit begonnen. Es ist ganz wichtig, dass diese Erziehung noch vertieft wird. Meine Generation stirbt jetzt aus. Wir sind die letzten Zeugen.
Zu überspitzt, wenn man sagt: Muslime sind die neuen Juden? Rath: Nein, anders, es ist in Österreich heute ein Antisemitismus ohne Juden, und das ist der Fremdenhass. Ob das Türken oder Kroaten sind, alles mögliche. Ich kann mich gut erinnern, wie der FPÖ-Chef Strache zum ersten Mal bei den Gemeindewahlen in Wien angetreten ist. Da gab es Plakate mit Schulklassen, verschleierte Mädchen darauf zu sehen. Daneben steht Strache: „Möchten Sie, das Ihr Kind in so eine Schulklasse geht? Wenn nicht, wählen Sie Strache.“ Rassismus und Fremdenhass hat den Antisemitismus ersetzt. Beim EU-Wahlkampf sieht man es, wie die FPÖ wie gewohnt Ressentiments gegen Fremde schürt. Rath: Hätte Mölzer nicht den Fußballhelden David Alaba beschimpft, nichts wäre passiert. Die Vorträge von Ari Rath an Linzer Schulen wurden zum zweiten Mal von der Friedensstadt Linz und dem Verein „Land der Menschen Oberösterreich“ organisiert: www.landdermenschen.at
Ari Rath
1925 wurde Ari Rath in Wien geboren. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland am 12. März 1938 gelangte er mit seinem drei Jahre älteren Bruder als 13-Jähriger nach Palästina. Der Journalist lebt heute in Israel und in Österreich, wo er regelmäßig Zeitzeugenvorträge hält. Im Herbst 2012 erschienen im Zsolnay Verlag seine Memoiren: „Ari heißt Löwe“.