St. Radegund und Tarsdorf: Vortrag und Gedenken am 9. August zum 70. Todestag des seligen Franz Jägerstätter
Ausgabe: 32/2013, franz jägerstätter, bibel, texte
06.08.2013 - Josef Wallner
Das Neue Testament war ein ständiger Begleiter Franz Jägerstätters – bis in die Todeszelle. Was die Bibel für ihn bedeutete, darüber referiert der Passauer Neutestamentler Otto Schwankl am 9. August 2013 in Tarsdorf bei St. Radegund. Dass die Heilige Schrift im Leben Franz Jägerstätters einen hohen Stellenwert hatte, ist allgemein bekannt. Bislang fehlt aber noch eine genauere Analyse, wie Jägerstätter die Bibel gelesen hat und welche Bedeutung sie für sein entschiedenes Christsein hatte. Prof. Otto Schwankl gibt in seinem Vortrag Verstehenshilfen zu diesem Themenkreis. Bei der Lektüre der Jägerstätter-Schriften fällt auf, dass er im Laufe der Jahre immer tiefer in den Geist der Heiligen Schrift hineingewachsen ist. Mehr und mehr gelingt es ihm, die alltäglichen Situationen und politischen Erfahrungen mit Blick auf die Bibel zu deuten. Ein Beispiel dafür ist ein Plakat des Winterhilfswerks mit der Aufschrift: „Dein Opfer sei dein Bekenntnis zum Führer“. „Der Führer will also ständig sein Volk prüfen, wer für ihn ist oder gegen ihn“, notiert Jägerstätter. Diese Querverbindung zu dem Jesuswort: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ (Mt 12,30), zeigt, wie sehr er in der Heiligen Schrift beheimatet ist und wie er sie für sein Leben fruchtbar machen kann, betont Schwankl: Die Bibel macht ihn wachsam und fähig zur Unterscheidung der Geister. Er geht dadurch den raffiniert umgedeuteten religiösen Begriffen der Nazis nicht auf den Leim. Er verweigert das Bekenntnis zum Führer, weil es das Bekenntnis zu Christus verdunkeln würde. Was Jägerstätters Umgang mit der Bibel weiters besonders auszeichnet, ist nicht das viele Lesen, Zitieren oder Kommentieren, sondern die Antwort, die er auf das Wort Gottes in seinem Handeln – mit Leib und Leben gemäß dem Hauptgebot der Liebe und dem unbedingten Ruf in die Nachfolge – gibt. Prof. Schwankl: „Dem totalen Krieg, der vom Führerbunker aus alles zerstört, setzt er die totale Nachfolge entgegen, die freiwillige Hingabe an Christus, den Anführer des Heils, wie es im Hebräerbrief heißt.“ Der Bibliker Schwankl resümiert: „Der Widerstand Jägerstätters erwächst nicht aus einem politischen Programm oder aus einem pazifistischen Prinzip, sondern, um es mit Hans Urs von Balthasar zu sagen, aus dem Realismus des Neuen Testaments“.
ZUR SACHE
Die Texte des „Bibelheftes“ sind nicht von Jägerstätter. Im Gefängnis in Berlin-Tegel hat Franz Jägerstätter während seiner letzten Lebensmonate nochmals das gesamte Neue Testament gelesen. In einem hellorangen Heft finden sich unter der Überschrift „Was jeder Christ wissen soll“ 208 durchnummerierte Einträge, davon 187 Kurzkommentare zu neutestamentlichen Textstellen, dann 22 Bibeltexte. Prof. Schwankl macht aufmerksam, dass die Kommentare nicht die Frucht der Bibelmeditation Jägerstätters sind, wie in den Jägerstätter-Biografien und in den Ausgaben mit seinen Aufzeichnungen erklärt wird. Jägerstätter hatte die weit verbreitete Stuttgarter Kepplerbibel mit Erklärungen des Neutestamentlers Peter Ketter (Ausgabe 1939) in der Zelle. Er hat dessen Erklärungen zu Bibelstellen, die ihm wichtig waren, in sein Heft übertragen. Obwohl die prägnanten Sätze nicht von ihm stammen, zeigen sie, wie er in seiner Situation die Bibel aktualisiert hat. An der Auswahl der Erläuterungen wird Jägerstätters Spiritualität deutlich: Die Aufzeichnungen sind eine Zusammenfassung und eine biblische Vergewisserung seiner Glaubensüberzeugung. Den Briefen, Reflexionen und Meditationen, die er über Jahre hinweg geschrieben hat, gibt er im Angesicht des Todes einen roten Faden. Einen Schwerpunkt bildet das Matthäusevangelium mit der Bergpredigt (42 von 187 Nummern), der nicht einfache Römerbrief, die beiden Korintherbriefe (27 Nummern) und auch der erste Johannesbrief, das große Dokument der Liebe. Interessant ist, dass Jägerstätter an einer Stelle einmal kürzt. Er selbst hat nie über Andersdenkende verächtlich gesprochen. Nach der Erklärung zu 1 Kor 5,11: „Bloße Namenschristen schaden der Kirche am meisten“, lässt er deshalb weg: „Übertriebene Toleranz gegen sie ist übel angebracht.“