Eine Kränkung trifft mitten ins Herz. Was sich aus einer Kränkung lernen lässt und wie sie leichter überwunden werden kann, weiß der Internist Walter Neubauer.
Ausgabe: 2017/30
25.07.2017 - Christine Grüll
Maria L. hat sich auf diesen Nachmittag gefreut. Ihre Eltern haben Freunde eingeladen, die sie lange nicht gesehen haben. Maria L. besucht ihre Eltern fast jeden Tag. Sie macht Besorgungen, hilft, wenn der Fernseher nicht funktioniert oder nimmt sich einfach Zeit für ein Gespräch. Ihre zwei jüngeren Geschwister kommen alle paar Wochen vorbei. Sie hätten zu viel Arbeit, heißt es. Nun sitzen Maria L., die Eltern und die Freunde bei Kaffee und Kuchen. Sie reden über alte Zeiten und über die Erfolge ihrer Kinder. Noch bevor der Besuch zu Ende ist, fährt Maria L. nach Hause. Sie ist gekränkt. Denn ihre Eltern haben mit Stolz von den Geschwistern gesprochen. Maria wurde nicht erwähnt.
Die verletzte Seele
„Bei einer Kränkung handelt es sich um eine Verletzung des Selbst oder von etwas, das uns sehr wichtig ist – meist durch den Entzug von Liebe und Anerkennung“, meint Walter Neubauer. Der Internist leitet das Department für Psychosomatik am Klinikum Wels-Grieskirchen und hat mit Menschen zu tun, die mit einer Kränkung nicht zurecht kommen. Denn sie trifft mitten ins Herz. Der Gerechtigkeitssinn wird verletzt und es kann lange dauern, bis die negativen Gefühle verblassen. Wie lange, das hängt davon ab, wie wichtig die gekränkte Person den Menschen nimmt, der die Kränkung ausgelöst hat. Nahestehende Menschen können somit eher kränken als Unbekannte. Dabei ist es unwichtig, ob die Kränkung mit Absicht herbeigeführt wurde oder nicht, so Walter Neubauer: „Jeder kränkt manchmal andere – auch unbewusst.“
Darüber reden
Maria L. hat den Nachmittag ständig vor Augen. Sie erzählt einer Freundin davon. „Es kann helfen, sich auszusprechen, indem man die eigenen Gefühle in Worte fasst“, meint Walter Neubauer. Wer niemanden zum Reden hat, kann niederschreiben, was ihn oder sie bewegt. „Dadurch schaffe ich Ordnung und ich kann mich entscheiden, wie ich weiter handle.“ Doch wie kann eine Kränkung überwunden werden? Walter Neubauer gibt drei Anhaltspunkte:
Aus der Kränkung lernen
Beinahe jede Kränkung birgt eine Tatsache in sich. Was sagt die Kränkung über die eigene Person und die Beziehung zur kränkenden Person aus? Wer dem nachforscht, kann besser verstehen, warum der oder die andere sich kränkend verhalten hat.
Loslassen
Die Gedanken sollen nicht länger auf die kränkende Situation fixiert sein, sondern sich auf Dinge richten, die der eigenen Seele gut tun. Das bringt Abstand. Im nächsten Schritt ist zu überlegen, ob mit der kränkenden Person über den Vorfall gesprochen werden kann und wenn ja, in welcher Weise.
Der richtige Ton
Kommt es zur Aussprache, sollten aggressive Worte vermieden werden. „Versuchen Sie, eine gemäßigte Sprache zu finden und trotzdem das zu benennen, was in Ihrem Inneren vor sich geht“, empfiehlt Walter Neubauer.
Ein Gespräch
Einige Tage später sagt Maria L. ihren Eltern, dass sie sich nicht wertgeschätzt fühlt. Die Eltern sind überrascht. Sie geben aber zu: Sie hätten den Eindruck, Maria L. binde sich so eng an die Eltern, um sich nicht mit ihrer eigenen beruflichen und privaten Zukunft auseinandersetzen zu müssen. Sie sagen aber auch, wie dankbar sie ihrer Tochter für ihre Unterstützung sind. Das nimmt Maria L. gerne an. «