„An einigen Tagen habe ich keine Lust aufzustehen“, sagt ein ca. 50-jähriger Mann und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Als ich diesen Zustand „depressiv“ nenne, merke ich ein kurzes Befremden. So ändere ich meine Ausdrucksweise und wir sprechen über seine Stimmungsschwankungen und was sie bedeuten.
Ausgabe: 2014/29, Depression, depressiv
15.07.2014 - Clemens Schermann
Tatsächlich gelingt es im Gespräch, diese „depressiven Episoden“ zu entschlüsseln und die darin verborgenen Gefühle nutzbar zu machen für seine Entwicklung, wo er gerade dabei ist, einen wichtigen Lebensabschnitt hinter sich zu lassen und sich Neuem zu öffnen.
Depression wird oft verdrängt
„Depression“ ist für viele Männer ein Unwort, da es mit Schwäche und Versagen in Zusammenhang gebracht wird. Gleichzeitig entsteht dabei ein Stress, der nach Lösungen drängt. Manche versuchen ihre Gefühlsschwankungen mit Alkohol zu regulieren, was auch gelingt. Leider mit Langzeitfolgen, die nicht nur gesundheitsschädigend sind und abhängig machen, sondern depressive Verstimmungen verstärken. Ein zweiter ungewollter Ausweg aus diesem „komischen“ Zustand ist eine Unruhe und meist steigende Nervosität, die zu einer sozialen Unverträglichkeit werden kann, bis hin zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten.
Männer suchen nach Lösungen
Oft versuchen Männer auch durch Erhöhung des internen Leistungsdrucks das lähmende Gefühl loszuwerden. Das führt zu ungeduldig gereiztem Verhalten und mündet in Herzrasen oder einen Zustand von „Burnout“ bzw. andere körperliche Erschöpfungsformen. Darüber hinaus kann leichtsinniges Verhalten oder gar Selbstmord den depressiven Gefühlsstau abschwächen und lösen wollen.
Klischees überwinden
Neben genetischen bzw. hormonellen Ursachen für diese untypische Reaktionsweise im Zusammenhang mit Depression spielt auch die Sozialisation zum Mann eine Rolle, die Gemütsschwankungen wenig Spielraum lässt, z.B.: Depressive und ängstliche Männer sind keine richtigen Männer! Mittlerweile gibt es mehr Burschen und junge Männer, die jenseits vorgegebener Klischees ihr Leben gestalten. Männerberatung und Gewaltberatung sind ein Gesprächsangebot für Männer, um in Krisen für sich einen entsprechenden Weg zu finden und Gefühlsunregelmäßigkeiten für eine lebendige Entwicklung nutzen zu können.
Reden hilft
Ein junger geschiedener Mann, der schon einige Zeit Antidepressiva nimmt, kommt in die Beratung und spricht immer wieder davon, wie es ihm bei den Kontakten mit seinen Kindern geht, die alle zwei Wochen zwei Tage lang bei ihm sind. Manches Schmerzliche und Unangenehme kommt dabei zutage. Nach gut einem halben Jahr reden wir über seine Depression. Er merkt, dass das Sprechen über seine Erlebnisse sinnvoll ist, und dass er die Medikamente nicht mehr braucht. Manchmal kann es viel komplizierter sein, weil die Depression sich durch lange Zeit verfestigt hat bzw. es entsprechende Vorbilder in der Familie gibt. Manche leiden lang. Auch eine Katastrophe kann zum Anlass werden, einen neuen Weg zu gehen und mit den Bedingungen des Körpers neu auszukommen, so erlebe ich es immer wieder in der Gewaltberatung.
Mag. Clemens Schermann, Leitung Gewaltberatung Caritas Familienzentrum Eisenstadt, beratung@kirchenzeitung.atBei Fragen und Problemen wenden Sie sich an: Beziehung Leben, Partner-, Ehe-, Familien- und Lebensberatung, Kapuzinerstraße 84, 4020 Linz, Tel. 0732/77 36 76.