Staunen bereichert die Seele. Doch nur allzu oft sorgt eine Stimme mit einer schlauen Erklärung für ein jähes Ende des Staunens. Schön, wenn man in einer derart entzauberten Welt wieder achtsam wird und staunen kann.
Ausgabe: 2016/38
20.09.2016 - Brigitta Hasch
Die größten Stauner sind Kinder. Besonders die Kleinsten erleben vieles noch als geheimnisvolles Abenteuer, für sie ist alles Neue einfach nur aufregend und so staunen sie Tag für Tag über kleine Wunder.
Staunen verlernt
Dieses Staunen ist eine Fähigkeit, die sich die meisten Erwachsenen im Laufe der Jahre ziemlich abgewöhnt haben. Man wundert sich höchstens – nur manchmal und nur ein bisschen. Das ist einerseits der langjährigen Erfahrung geschuldet. Man hat vieles schon erlebt und hat vielleicht früher auch darüber gestaunt. Doch im Laufe der Zeit werden selbst kleine Wunder gewöhnlich und sind eben nicht mehr bestaunenswert. Zum anderen ist die Bereitschaft zum Staunen oft einer Unsicherheit gewichen, gerade im „professionellen“ Umfeld. Da wird Staunen schnell als Unwissenheit (miss-)verstanden. Und wer will schon ein ahnungsloser Unwissender sein? Da miemt man doch lieber die/den Kundige/n oder zieht im Zweifelsfalle einen schnell verfügbaren digitalen Helfer aus der Tasche.
Bewusst staunen
Wissen ist gut – keine Frage –, aber Staunen können ist es auch. Staunen hat nämlich weder mit Wissen noch mit Nichtwissen zu tun, sondern mit Freude, mit Achtsamkeit und bewusstem Wahrnehmen. Nur wer achtsam ist und sich Zeit nimmt, etwas bewusst zu sehen, zu fühlen oder zu verstehen, kann darüber staunen. Und wer staunen kann, der kann sich auch begeistern. Neben Staunen ist Begeisterungsfähigkeit eine besonders kostbare Eigenschaft.
Staunen trotz Wissen
Obwohl man vieles weiß, kann man trotzdem staunen über das, was man zum ersten Mal sieht, zum ersten Mal bewusst wahrnimmt, oder über etwas, was einem einfach gefällt. Viele Wunder der Welt sind schon erforscht worden. Was Menschen in früheren Zeiten als Wunder bestaunt haben, ist heute wissenschaftlich erklärbar. Klar, ein Regenbogen hat etwas mit Lichtbrechung zu tun. Aber seine Schönheit zu bestaunen und sich vorzustellen, dass an seinem Ende ein Schatz warten könnte, ist viel schöner als zu wissen, wie er genau entsteht. Staunen über die Schönheit und Vielfältigkeit der Natur in jedem Bereich heißt auch, sich selbst, die eigene Wichtigkeit für einen Moment zurückzunehmen. Es kann wie ein Kick wirken: Weg von einer seichten Oberflächlichkeit und wenig Bodenhaftung, hin zu wahren Werten, zu wertschätzendem Umgang mit Mitmenschen und Natur.
Kreativ staunen
Neues und Wundernswertes wahrzunehmen kann auch sehr inspirierend wirken. Beim stillen Betrachten und Staunen kann man sich selbst auf neue und tolle Gedanken einlassen. Es ist fast wie eine Reise in die Kindheit, als man sich phantastische Erklärungen für Alltägliches ausgedacht hat. Geht man von Zeit zu Zeit mit den Augen eines Kindes durch die Welt, öffnet sich einem eine wahre Magie des Staunens. Man ist wieder offen für Unerklärliches. Gemeinsam mit Kindern kann man solche Phantasien besonders gut entwickeln. Wer sich ab und zu derartige Auszeiten gönnt, wird dem Staunen auch eine gesundheitsfördernde Wirkung zuschreiben. Es befreit jedenfalls von Stress.
Ja, Staunen bereichert
Es ist wie Nahrung für die Seele. In einer heute so versachlichten Welt ist fast alles darauf ausgelegt, einem das Staunen zu rauben. Man hat für alles eine wissenschaftliche Erklärung parat. Wer sich aber den Schatz des Staunens bewahrt, kann damit mehr (innerlichen) Reichtum erlangen als durch jahrelanges Arbeiten.