Der Wahlausgang in Oberösterreich und wohl auch jener der kommenden Wiener Wahl hat in der Angst der Bevölkerung eine wesentliche Ursache. In der Angst, dass durch die Flüchtlinge ein radikaler Islamismus nach Europa kommt. In der Angst um die Arbeitsplätze und vor „Heimatverlust“.
Ausgabe: 2015/41, Polak, Gottvertrauen, Ghana, Gerechtigkeit, Europa
06.10.2015 - Ernst Gansinger
Die Ängstlichkeit hänge mit der Endlichkeit zusammen, sagt Pastoraltheologin Regina Polak im Gespräch mit der KirchenZeitung. Durch die Flüchtlinge wird uns die Unverdientheit des Wohlstands vor Augen geführt.
Gottvertrauen
„Diese Menschen ermöglichen uns, den eigenen Lebensstil, unsere Gesellschaftsordnungen zu überdenken“, schrieb Polak in ihrem Blog, nachdem sie heuer im August auf Lesbos auf Urlaub war. Dort erlebte sie hautnah, wie täglich Hunderte neue Flüchtlinge ankamen. Und sie setzte im Blog fort: „Sie konfrontieren uns mit unseren eigenen Grenzen, im Äußeren wie im Inneren. Wir werden uns auf die Flüchtlinge einstellen müssen, solange weltweit Wohlstand, Recht und Macht so ungleich verteilt sind“, meint Polak. Es sei eine wichtige spirituelle Aufgabe – erkennen, dass es ein dünner Faden ist, wie wir leben. Es geht ums Gottvertrauen, wahrzunehmen, wie zerbrechlich das Leben ist.
Hühner in Ghana
Es muss sich etwas ändern. Das spüren wir. Polak nennt eines von vielen Beispielen von Änderungsbedürftigem: In Ghana werden Hühner aus Europa verkauft, die mit Steuergeldern gestützt dorthin exportiert werden. Die ghanaischen Bauern aber verarmen und müssen ihr Land verlassen. Wohin sollen sie? „Wie wir hier leben, hängt mit der Not dort zusammen.“ Jedem Menschen müsse bewusst werden, dass wir Verantwortung haben. Das löst auch Angst aus – sich mit der eigenen Verstrickung zu konfrontieren. Aber es sei wichtig, denn daraus können Lösungen erwachsen. Wohin es geht, wissen wir noch nicht. Es sind, so Polak, seelsorglich zu begleitende Herausforderungen. In vielen Erzählungen des Alten Testaments geht es um solch ungewisse Aufbrüche. Unsere Religion hat also einen Deutungsschatz. Etwa wenn Abraham aufgrund des Versprechens von einem diffusen Gott, den keiner kennt, aufbricht.
Gerechtigkeitsfrage
Die Ursache der Ängste liege nicht bei den Flüchtlingen, sondern in einer Politik, die nicht nach den tatsächlichen Verantwortungen und Ungerechtigkeiten fragt: Wir zahlen für die Hypobank, ohne viel über die Verantwortung nachzudenken. „Eigentlich müssten wir die Gerechtigkeitsfrage stellen. Die Würde aller Menschen, die am Rande leben, ist eine Frage der Gerechtigkeit.“
Wurzelsünden
Für das Wahlverhalten aber sei nicht nur Angst die Ursache. „Es gibt ein gerüttelt Maß an der Gesinnung ‚Wir wollen nicht gestört werden‘. Man muss an den Wurzelsünden arbeiten“, sagt Polak. An Angst, Hass, Neid und Gier. „Wir müssen Gefühle üben und sie verwandeln: Angst kann Ansporn zum Mut werden. Neid kann in Großzügigkeit gewandelt werden. Das sind seelsorgliche Prozesse.“
Angst vor Radikalisierung
Man ist nicht gleich Rassist, wenn man Angst in Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen hat. Etwa davor, dass mit ihnen Terroristen zu uns kommen. Der mühsame Weg der Flucht werde aber nicht ihr Mittel sein. Die Angst vor Radikalisierung könne Polak jedoch verstehen. Sie habe genauso Angst vor der Radikalisierung hierzulande, wenn die politische Stimmung durch Strache-Hetzreden aufgeheizt werde. „Heimat“ und ein „in der Scholle verhaftetes Denken“ seien zudem keine christlichen Kategorien. „Die eigentliche Heimat ist der Himmel“, heißt es im Philipperbrief (Phil 3,20). Christen verstehen sich als Gäste und Fremde auf Erden. Heimat sei ein Beziehungsbegriff und kein Ortsbegriff: „Natürlich verändert sich der Raum. Gott sei Dank. Große Veränderungen hingen damit zusammen, dass Fremde zusammentrafen.“ – „Wir müssen schrittweise lernen, dass es normal ist, verschieden zu sein.“