Nach Erdbeben, Flutkatastrophen und Vulkanausbrüchen scheint es ein festes Schema der Reaktionen zu geben: Nach der Betroffenheit über die Opfer wird zu Spenden aufgerufen. Und immer wieder taucht – manchmal verhalten und oft lauter – die Frage auf, ob Gott damit nicht die Menschen bestrafen wollte. Franz Gruber, Professor für Dogmatik, erklärt die schwierige Rede von der „Strafe Gottes“.
Warum ist der Satz „Gott straft“ so problematisch? Univ.Prof. Franz Gruber: „Gott straft dich!“ – diese Aussage gehört zu den missbrauchtesten Formen der Gottesrede. Sie wurde immer wieder in der christlichen Erziehung und Katechese eingesetzt und hat das christliche Gottesbild furchtbar entstellt. Anstatt beim Wort „Gott“ unbedingtes Vertrauen und Hoffen zu empfinden, löste es Angst und Schrecken aus.
Die Angst vor einem strafenden Gott sitzt tief ... Die Furcht vor strafenden Göttern ist sicher eine Urangst des Menschen. Wir finden sie darum auch in allen Religionen. In einem religiösen Weltbild gab es ja noch kaum ein Verständnis einer eigengesetzlichen Natur. Alle Ereignisse wurden auf göttliche Handlungen zurückgeführt, gute wie böse, Gesundheit und Krankheit, Sieg oder Niederlage im Krieg sowie Dürre oder Überflutungen. Aus christlicher Sicht hat uns Jesus einen neuen Zugang zu Gott erschlossen. Im Johannesevangelium, Kapitel 9,1–12 weist er zum Beispiel jeden Versuch zurück, das Leid eines Blindgeborenen mit dessen Sünde oder der Sünde seiner Eltern zu erklären. Er lehnt es ab, Krankheit als Strafe Gottes zu deuten. Dem stellt Jesus sein heilendes Tun gegenüber: Wenn er den Blinden heilt, dann ist das für Jesus ein Offenbarungszeichen des Wirkens Gottes. Nicht das Unglück – dass der Mann blind ist, ist ein Zeichen für die Macht Gottes, sondern dass er geheilt wird. Jesus dreht das Vorzeichen um und lehrt einen neuen Blick auf Gott. Jesus ermutigt also, Gott in den heilenden Ereignissen des Lebens zu entdecken, und in den tragischen, wie in der Geschichte vom umgestürzten Turm, der 18 Leute erschlug (Lukas 13,4–5), sich zu besinnen und für die eigene Umkehr zu öffnen. Das Neue Testament bekräftigt, was schon im Alten gilt: Gott ist ein Freund des Lebens, er ist eine unbedingt gute und menschenfreundliche Macht (Titus 3,4).
Die Bibel ist voll von Erzählungen und Texten, in denen Gott in Zusammenhang mit Strafe gesehen wird. Kann man diese Stellen einfach wegwischen? Diese Texte gibt es ohne Zweifel und sie gehören zu den schwierigsten Themen der Theologie. Das Alte Testament bekennt Gott als Schöpfer und darum als die letzte Macht über allem Geschehen. Doch diese Schöpfung ist auch eine gebrochene: darum das Leid, der Schmerz, der Tod. Einerseits gilt für das Alte Testament der „Tun-Ergehen“-Zusammenhang. Er steht für die Überzeugung: Wer gegen die Gesetze des Lebens lebt, auf den fällt sein Handeln zurück. Andererseits ist Gott die Macht der Gerechtigkeit: Er hat am Bösen kein Gefallen. Er zieht die Täter zur Rechenschaft, und gerade in den Psalmen wird Gott oft als Instanz angerufen, er möge doch endlich eingreifen, auch strafen, damit den Übeltätern das Handwerk gelegt wird. „Strafe Gottes“ ist hier oftmals ein Hilferuf der Opfer, die keine Gerechtigkeit mehr erfahren.
Doch der Tun-Ergehen Zusammenhang reicht auch im Alten Testament nicht als Erklärung für das Leid... Es gibt Kontrastgeschichten, die das Tun-Ergehen-Schema sprengen. Das Buch Ijob ist das herausragende Beispiel und wurde mit der Frage „Woher und warum das Leid?“ nicht zufällig zu einem – bis heute ungebrochen aktuellen – Stück Weltliteratur. Ijob erleidet alles, was einem zustoßen kann. Ein Unglück jagt das andere, bis er schließlich seine Familie verliert. Seine Freunde meinen, er werde von Gott gestraft, weil er gesündigt hat. Gott weist diese Spekulationen aufs Schärfste zurück. Übrigens auch Ijob bekommt keine Antwort auf seine Frage: „Warum?“, doch anerkennt Gott Ijobs Treue und seinen Weg des Klagens und Bittens. Das heißt: Die Bibel lehrt uns hier, nicht mit Schuldzuweisungen oder Strafandrohungen zu kommen, sondern im Leid vor Gott zu klagen und zu bitten, einander zu helfen und zu stützen.
Was heißt das im Fall von Naturkatastrophen? Die Entdeckungen aus Geologie, Biologie, Astronomie und Chemie haben in den letzten drei Jahrhunderten zu der Einsicht geführt, dass Naturkatastrophen nicht durch übernatürliche göttliche Eingriffe, sondern durch die Gesetze der Evolution verursacht sind. Naturkatastrophen sind physikalische Phänomene, die wir naturwissenschaftlich erklären können. Sie sind nicht unmittelbar auf das moralische Handeln von uns Menschen zurückzuführen, auch wenn es indirekt der Fall sein kann, was wir am Klimawandel beispielsweise sehen. Biologisch gesprochen: Der Preis des Lebens auf der Erde sind die evolutionären Gesetzmäßigkeiten, zu denen leider auch Tod und Katastrophen gehören.
Wenn wir also heute über Leid und Naturkatastrophen reden, hilft uns zur Erklärung die biblische Weltsicht nur bedingt weiter ... Die Bibel erklärt naturwissenschaftlich überhaupt nichts. Ihre Aussagen sind keine naturwissenschaftlichen Sätze, sondern Sinndeutungen des menschlichen Lebens. Wir sind Lebewesen, die zum Leben und Überleben Sinnerfahrungen brauchen. Bei persönlichen oder kollektiven Leidkatastrophen geraten wir an absolute Grenzen und stürzen in Verzweiflung. Wir können dann nicht mehr einfach von Gott als dem reden, der alles gut gemacht hat. Die Welt zeigt uns täglich diese Kehrseite der Schöpfung.
Gibt uns die Bibel darauf noch eine Antwort? Ich denke sehr wohl. Sie erzählt vom Versprechen Gottes, dass er auch im Dunkel des Lebens gegenwärtig ist. Wer stattdessen anfängt, wieder vorneuzeitlich von Gott als Strafendem zu sprechen, der macht aus Gott ein Monstrum: Denn dieser Gott will, dass Abertausende unschuldige Menschen vernichtet werden, weil er ein paar Menschen für ihre Sünden straft. Ein solches Gottesverständnis steht nicht auf dem Boden der Bibel und ist blanker Zynismus gegenüber den Opfern und Überlebenden solcher Katastrophen. Wir dürfen als Theologen oder Erzieher/innen nicht mehr der Versuchung erliegen, Gott an die Stelle unserer Gefühle der Wut oder an die Stelle der Erziehung oder Welterklärung einzusetzen.