Vor wenigen Wochen sprengten Kämpfer des Islamischen Staates den Beltempel im syrischen Palmyra. Dabei geht es um mehr als um die Zerstörung eines kulturgeschichtlich einzigartigen Bauwerks. Für den Archäologen Andreas Schmidt-Colinet besteht kein Zweifel: „Der Islamische Staat meint damit dich und mich.“
In der Früh, wenn er gegen vier Uhr aufgestanden ist, konnte er von seinem Schlafzimmer aus die Tempelanlage sehen. Am Abend saß er mit seinem Team auf der Terrasse, um den Arbeitstag nachzubesprechen – wieder mit Blick auf den Beltempel. 30 Jahre – von 1980 bis 2010 – lebte der Archäologe Andreas Schmidt-Colinet jeweils für mehrere Wochen in Palmyra, um Ausgrabungen durchzuführen. Wie kaum ein anderer ist er beruflich, wissenschaftlich und persönlich mit den prächtigen historischen Bauwerken von Palmyra und den Menschen verbunden, die in der angrenzenden Stadt Tadmur leben. „Ich kann es immer noch nicht fassen“, sagt er. Satellitenbilder lassen aber keinen Zweifel. Ende August wurde der Beltempel, eines der faszinierendsten Bauwerke des Vorderen Orients, gesprengt. Schmidt-Colinet, der an der Universität Wien Archäologie lehrte, beginnt zu erzählen. Der Tempel war so raffiniert gebaut, dass er zwei unterschiedliche Religionen in einem Haus vereinte. Betrat man ihn von der Querseite, zeigte er sich als orientalischer, von der Längsseite her als römischer Tempel. „Das wäre, wie wenn man den Stephansdom mit Minarett errichtet hätte.“ Im fünften und sechsten Jahrhundert wurde aus dem Beltempel eine Kirche. Schmidt-Colinet präsentiert ein Fresko, das vermutlich die Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind und einen Engel zeigt (Bild links unten). Es ist der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt, aber es gehört zum Erbe des Gebäudes, das nun in Trümmern liegt. Mehr als ein Jahrtausend wurde der Tempel dann als Moschee genutzt. 1929 machte die französische Mandatsherrschaft daraus ein Heiligtum für Archäologen und eine Kultstätte für Touristen, meint der emeritierte Archäologieprofessor augenzwinkernd.
Die Kulturstätten sind der Anfang
„Wer glaubt, dass der Islamische Staat nur eine Touristenattraktion Syriens gesprengt hat, der irrt gewaltig“, betont Schmidt-Colinet und verweist auf eine Stellungnahme des Islamischen Staates (IS): „Wir fangen mit den Götzenbildern und Götzentempeln an, dann kommen die an die Reihe, die sich damit beschäftigen, und schlussendlich jene, die darauf aufbauen.“ Der IS wird nicht müde, das ständig zu wiederholen. „Wir dürfen uns da nichts vormachen. Das ist eine Kriegserklärung. Die meint dich und mich.“ Dass die europäische Kultur auf den Vorderen Orient aufbaut, steht völlig außer Diskussion: „Das ist Teil unserer abendländischen Identität.“ Der fruchtbare Halbmond, wie das Gebiet genannt wird, das sich vom heutigen Irak über Syrien zum Mittelmeer zieht, gilt als die reichste Kulturlandschaft der Welt, so Schmidt-Colinet. Und die wird heute zerstört, nicht nur durch gezielte Sprengungen, sondern durch Raubgrabungen. Diese richten sogar noch mehr Schaden an. Der Archäologe denkt etwa an die Stadt Apamea im Norden Syriens mit ihren kunstvollen Mosaikdarstellungen. Die haben es den Raubgräbern besonders angetan, denn unter den Mosaikböden werden Goldschätze vermutet. Das gesamte Gelände der antiken Stadt sieht auf den Satellitenbildern aus wie Schweizer Käse, durchlöchert von hunderten illegalen Grabungen. Gold findet man dort sicher nicht, Mosaike und andere noch nicht sachgerecht ausgegrabene Zeugen der Vergangenheit sind aber unwiederbringlich zerstört. Dennoch lohnen sich die Grabungen – in Apamea und in vielen anderen Stätten. Der Verkauf von antiken Fundstücken „aller Art“ ist zu einem einträglichen Geschäft geworden, nicht nur für den Islamischen Staat, auch für die anderen Rebellengruppen. „Mit diesem Raubgut wird der Krieg mitfinanziert“, sagt Schmidt-Colinet. Nach Waffen- und Drogenhandel soll der Handel mit illegalem Kunstgut inzwischen weltweit zu den einträglichsten kriminellen Geschäften zählen.
Raub des Gedächtnisses
Auch in Wien und München werden diese Fundstücke aus Syrien angeboten. Besonders geschmerzt hat Professor Schmidt-Colinet, als er im Sommer 2014 in einem Antiquitätengeschäft Köpfchen entdeckte, die ihm bestens bekannt waren. Sie stammen eindeutig aus Palmyra. Er hat im Jahr 2010 erstmals diese Art von Verzierungen der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Handel waren sie als „Alter Familienbesitz“ deklariert. „Das ist unmöglich. Ich weiß, dass sie aus einer der Raubgrabungen in Palmyra stammen. Nie und nimmer sind sie Erbstücke aus einem Privatbesitz“. Doch das sichere Wissen hilft nichts, für eine Anzeige wäre ein Beweis zu erbringen, und das ist zurzeit unmöglich.
Frühes Christentum in Syrien
Der Professor lenkt die Aufmerksamkeit auf eine weitere, für Christen hochinteressante Gegend: zu den „Toten Städten“. So werden rund 800 Städte und Dörfer genannt, die vom 3. bis ins 7. Jahrhundert eine blühende christliche Region bildeten. Viele Kirchen und Häuser sind bis heute hervorragend erhalten. „Bei manchen dieser Bauten hat man den Eindruck, es fehlen nur die Dachbalken und schon wären sie wieder bewohnbar.“ Die Toten Städte geben einen einzigartigen Einblick in Liturgie, Frömmigkeit und Alltagsleben der frühen Kirche. Auch dieses Erbe ist durch Kampfhandlungen und Raubgrabungen bedroht, wie viel derzeit schon vernichtet ist, weiß man nicht. „Der Islamische Staat macht weiter mit den Zerstörungen“, gibt sich Schmidt-Colinet keinen Illusionen hin. „Ich rufe nicht zum Krieg auf, ich will das Wort nicht aussprechen, und doch sehe ich keine andere Möglichkeit, als militärisch dem IS beizukommen.“ Wenn er auch im Gespräch – seinem Beruf entsprechend – den Schwerpunkt auf archäologische Stätten legt, verliert er nie die Menschen in Syrien aus dem Blick. Der Zerstörung von Kulturgut entgegenzutreten heißt für ihn auch, den Menschen vor Ort zu helfen. Beides gehört untrennbar zusammen.