Wie die Diözese Linz stecken eine Reihe von österreichischen und deutschen Diözesen in einem Zukunftsprozess. Welche Stolpersteine auf diesem Weg liegen, in welche Sackgassen man geraten kann und wie Papst Franziskus ermutigt, eine neue Gestalt von Kirche zu suchen – darüber spricht der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner mit der KirchenZeitung.
Ausgabe: 2017/47
21.11.2017 - Josef Wallner
Wo setzen Ihrer Beobachtung nach die Kirchenleitungen bei den Reformmaßnahmen an?Paul M. Zulehner: Sie setzen beim Mangel an, vor allem der Priestermangel spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es wird die überkommene Kirchengestalt heruntergefahren, sodass auch mit weniger Priestern der Betrieb am Leben erhalten werden kann. Die meisten Pfarrer bekommen immer mehr Pfarren. Es entstehen so immer größere pastorale Räume. Das kann nicht gutgehen.
Sie brechen eine Lanze für die kleinen Räume, Gruppen, Pfarren …Zulehner: Nein, ich bin gegen das pfarrliche Kirchturmdenken. Aber man muss anders ansetzen. Man muss sich immer fragen: Welcher pastorale Vorgang braucht welchen Raum, dass er optimal geschehen kann? Die Verantwortlichen der Reformprozesse dürfen nicht falsche Gründe vorschieben und erklären, dass große Räume für das Leben der Kirche besser sind. Das ist eine Täuschung der Leute. Größere Räume sind nur für bestimmte Vorgänge besser. Vieles muss lokal geschehen. Die Kunst der pastoralen Komposition besteht darin, die Balance zwischen regional und lokal schöpferisch zu entfalten, also regio-lokal zu handeln.
Worin liegen die Stolpersteine, wenn sich Reformer am Mangel orientieren? Zulehner: Man lässt wesentliche Elemente des kirchlichen Lebens überhaupt wegfallen.
Was meinen Sie damit?Zulehner: Gläubige Gemeinden können vor allem die Eucharistie nicht mehr regelmäßig vor Ort feiern. Die Leute reagieren darauf sehr sensibel, wenn nur mehr zentral Eucharistiefeiern angeboten werden und man sich ins Auto setzen muss. Die Messe ist Feier einer Gemeinschaft, im Supermarkt kaufe ich ein.
An den Eucharistiefeiern entzünden sich immer die Debatten um die Kirchenreform … Zulehner: Ich bin hier ein gehorsamer Katholik und höre, was die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gesagt haben. Sie und auch die Menschen betonen völlig zu Recht: Die Eucharistie ist das Herz eines gläubig-kirchlichen Lebens, in ihr wird Kirche, wie Johannes Paul II. sagte. Wenn wir sie nicht achten, erleidet die Kirche einen Herzinfarkt. Ich glaube, dass zurzeit die Kirche in fahrlässiger Weise die Wichtigkeit der Eucharistiefeier zugunsten der Ehelosigkeit der Priester opfert.
Derzeitige Reformen bestehen oft in Fusionen … Zulehner: Das ist genau die priesterzentrierte Antwort auf den Mangel, wo man sagt: Wenn eine Pfarre nur mit einem Pfarrer möglich ist, es aber immer weniger Pfarrer gibt, dann legt man eben die Pfarren zusammen, damit das Kirchenrecht wieder einigermaßen stimmt. Der Trend der Reformen im deutschsprachigen Raum geht dorthin. Zum Beispiel in der Erzdiözese Wien: Dort will man aus 650 Pfarreien 150 machen. Natürlich gibt es Aufgaben, die einen größeren Raum verlangen, wie etwa die Bildungsarbeit. Aber im Grunde genommen suchen die Leute die ortsfeste Kirche. Dort fühlen sie sich beheimatet. Ich glaube, dass man die Bedeutung der Erfahrung, in der Kirche beheimatet zu sein, deutlich unterschätzt.
Wann kann man sich beheimatet fühlen? Zulehner: Man braucht eine vernünftige Nähe. Wir sehen in unseren Befragungen, dass vor allem Familien mit kleineren Kindern und pflegebedürftige ältere Menschen eine „Kirche in Ruf- und Reichweite“ brauchen. Eine Pfarre darf kein Megabetrieb werden. Die Menschen müssen die Chance haben, einander zu kennen.
Wenn nicht bei den Fusionen, wo soll man sonst bei Reformen ansetzen? Zulehner: Man muss grundsätzlich fragen: Was braucht die Kirche, um zukunftsfähig zu sein? Die Kirche ist dann zukunftsfähig, wenn es gelingt, das Evangelium in das Leben der Menschen hineinzuweben und ebenso in die Gestaltung von Gesellschaft und Kultur. Das ist das Grundprinzip der Evangelisierung. Zum Zweiten müssen dann die Menschen, die bereit sind, Jesus nachzufolgen, eine Gemeinschaft finden. Wir brauchen also persönliche Entschiedenheit und Vernetzung. Und von da her muss man die Strukturen machen. Dann kann man sinnvoll fragen: Was geschieht besser lokal vor Ort und was in größeren Räumen?
Wenn Sie bitte diese Frage gleich beantworten?Zulehner: Wo man Gemeinschaft erlebt und miteinander Gottesdienst feiert, das wird lokal gesehen. Dann gibt es Bereiche, die eine kritische Masse brauchen, das heißt eine bestimmte Anzahl an Personen oder entsprechend Geld. Da sind dann größere Räume sinnvoll: in der Bildungsarbeit, der Caritas oder in der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Welche Impulse gibt Papst Franziskus für die Reform der Kirche? Zulehner: In seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ geht es ihm zentral um die Verbindung von Leben und Glauben. Und die kleinen Gemeinschaften müssen die Kraft haben zu sehen, wo die Menschen am Rand Hilfe notwendig haben. Das ist einer der Gründe, warum wir eine Pfarrgemeinde brauchen: Sie sichert die diakonale Aufmerksamkeit in einem überschaubaren Raum. Papst Franziskus ist ein großer Fan von Pfarrgemeinden und möchte nicht, dass sie für das kirchliche Leben verloren gehen. Persönlich bin ich überzeugt, dass etwa 80 bis 90 Prozent der Menschen, die sich am kirchlichen Leben beteiligen, sich in einer konkreten Pfarrgemeinde beteiligen.
Was ist mit den Reformforderungen für die Kirchenstrukturen, die seit dem Kirchenvolksbegehren 1995 am Tisch liegen?Zulehner: Das ist ein mühsames Thema. Wir haben immer gedacht, wenn man die Irritationen auflöst wie das Verbot der Weihe der Frau oder die kirchliche Sexualneurose – wenn das alles weg wäre, hätte man keine Probleme. Das stimmt leider nicht. Man muss heute den Menschen erfahrbar machen, was am Evangelium schmackhaft ist: dass man inmitten der Ängste, die die Gesellschaft prägen, sich vertrauensvoll an Gott zurückbinden kann. Das lässt die Menschen aufatmen und sie fangen an, in einer großen Freiheit und Solidarität ihr Leben zu gestalten. «
Paul M. Zulehner
Zulehner war von 1984 bis zu seiner Emeritierung 2008 Professor für Pastoraltheologie in Wien. Sein jüngstes Buch „Neue Schläuche für jungen Wein. Unterwegs in eine neue Ära der Kirche“ ist im Patmos Verlag erschienen.
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Anliegen
Unterschrift für Papst Franziskus
Herr Professor Zulehner, Sie haben mit dem Prager Theologen Tomáš Halík eine Unterschriftenaktion für Papst Franziskus initiiert, die auf enormes Echo stößt. Was möchten Sie damit erreichen?Paul M. Zulehner: Wir wollen zu jenen Gruppen und Kreisen ein Gegengewicht schaffen, die sich anlässlich der Enzyklika Amoris Laetitia sehr kritisch und lautstark dem Papst gegenüber zu Wort melden. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass der Papst angezählt ist und die Zeit einer offenen Kirche bald wieder vorbei ist. Ich sage, das wird nicht so sein. Papst Franziskus geht unbeirrt den offenen Weg des 2. Vatikanischen Konzils. Der Papst braucht unsere Unterstützung nicht, er ist Gegenwind gewohnt. Aber für das Gesamtklima der Kirche ist es gut, wenn die Leute wissen, dass der offene Weg der Kirche breite Unterstützung findet. Es haben weltweit schon an die 900 Theologieprofessoren unterschrieben von Tokio über Oxford bis São Paulo, viele Ordensleute und über 55.000 Unterstützer-Unterschriften sind eingetroffen. Ich wünsche mir sehr, dass weiterhin noch viele Leute unterschreiben unter:
www.pro-pope-francis.com