Die Armen stehen im Zentrum des Denkens von Papst Franziskus. Aber was bedeutet das für die Kirche und ihr Handeln? Magdalena Holztrattner, Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich, gibt im Interview Antworten auf diese Fragen.
Ausgabe: 2014/47, Kirche der Armen, Papst Franziskus, Holztrattner
19.11.2014 - Interview: Heinz Niederleitner
Papst Franziskus spricht sowohl von einer „Kirche der Armen“ als auch von einer „armen Kirche“. Was meint er damit? Holztrattner: Mit einer Kirche der Armen ist eine Kirche gemeint, die auf ihre Kernbotschaft zurückgeht. In Christus ist Gott Mensch geworden und in unsere Armut hineingegangen. Das Lukasevangelium erzählt, wie Jesus nackt in einem Stall geboren wird. Sein Leben verbringt Jesus immer wieder mit Ausgestoßenen und Armen, mit den Menschen an den Rändern. Und er stirbt selbst als Ausgestoßener nackt am Kreuz. Gott hat sich klein gemacht, um uns auf Augenhöhe zu begegnen. Bei den Armen ist Gott in besonderer Weise zu finden. Nicht, weil die Armen bessere Menschen wären, sondern weil ihr Leben durch verschiedene Umstände verdunkelt wird.
Und was bedeutet das für die Kirche? Das bedeutet, dass wir die Erfahrungen der Armen in die Kirche aufnehmen. Und gleichzeitig danach fragen müssen: Was muss geschehen, damit soziale Gerechtigkeit herrscht? Kirche der Armen ist nicht allein die Caritas. Problematisch ist es zudem, wenn wir von oben herab von einer „Kirche für die Armen“ sprechen. Die Armen sind nicht ein Gegenüber der Kirche – sie sind Kirche.
Schwieriger zu verstehen ist der Begriff der „armen Kirche“: Da schwingen schnell Vorstellungen mit, wonach sich die Kirche ihres materiellen Besitzes entledigen müsste. Ist das richtig? Die Kirche braucht Strukturen, um arbeitsfähig zu sein. Es geht vielmehr um die innere Haltung der Menschen in der Kirche gegenüber den materiellen Dingen. Ein Journalist braucht heute einen Laptop und ein Mobiltelefon. Die Frage ist aber, ob er alle zwei Jahre ein neues Handy haben muss. Der Papst sagt nicht: Alle müssen arm werden. Er sagt: Werdet arm in Eurer Haltung, zeigt die Bereitschaft zu teilen! Eine arme Kirche muss außerdem politisch tätig sein: Auf Seite der Armen und gegen Bedingungen, die Armut fördern oder verlängern.
Statt Armut könnte der Papst also von Bescheidenheit, Solidarität oder Schonung der natürlichen Ressourcen sprechen. Sollte man nicht mit diesen viel konkreteren Begriffen arbeiten? Wenn ich von Armut spreche, weiß jeder sofort, was gemeint ist – auch wenn natürlich die Differenziertheit fehlt. Will eine Pfarre arme Kirche mit den Armen sein, kann das zum Beispiel an der Frage definiert werden: Wie transparent sind wir im Umgang mit Einnahmen und Ausgaben? Armut kann dann als innere Einstellung verstanden werden, wie wir mit materiellen Dingen umgehen. Oder: Wie werden in einer politischen Gemeinde, in der Christen engagiert sind, Entscheidungen getroffen: Wird eine Gruppe dauernd bevorzugt, eine andere immer wieder übersehen. Werden zum Beispiel Alleinerzieherinnen durch Horte und Tagesmütter unterstützt?
Bleiben wir bei den konkreten Themen: Die Aufnahme von Flüchtlingen in Pfarrhäusern und Klöstern war zuletzt ein heftig debattiertes Thema. Nicht jedes Quartier ist geeignet ... Es geht nie darum, blind irgendetwas zu tun, denn das Ziel ist ja ein gutes Leben für alle. Dazu braucht es auch Rahmenbedingungen. Aber „arme Kirche“ zu sein, heißt auch, den Mut zu haben, nicht beim Abklären der Rahmenbedingungen stehen zu bleiben, sondern etwas zu tun. Die eigene Sicherheit und die eigene Bequemlichkeit dürfen nicht das einzig Wichtige sein.
Verstörend wirken auf viele Menschen die Bettler in unseren Städten. Haben wir Berührungsängste gegenüber den Armen? Es geht sehr wohl auch darum, sich persönlich einzulassen. Ignatius von Loyola nennt das die „Freundschaft mit den Armen“ – eben nicht im Sinne eines gnädigen Almosengebens. In Österreich ist Armut noch immer sehr versteckt. Auf der Straße zu sitzen ist Ausdruck einer absoluten Notsituation. Dahinter versteckt sich viel mehr. Menschen schämen sich zum Beispiel, nach Hilfe zu fragen, wenn sich ihre Familie keine Nachhilfe für die Schulkinder leisten kann. Hier müssen wir Berührungsängste abbauen: Als Pfarre, Gemeinderat oder Nachbarin. Wichtig ist, dass diejenigen, die Hilfe erhalten, nicht gedemütigt werden. Hilfe sollte unter dem Aspekt der Freundschaft angeboten werden.