Die österreichische Regierung hat mit den Landeshauptleuten und Gemeindevertretern für vier Jahre Obergrenzen bzw. Richtlinien für die Anzahl der Asylwerber festgesetzt. Nicht nur die genannten Zahlen sind umstritten, sondern ebenso, ob man zum gegenwärtigen Zeitpunkt solche Grenzen setzen darf und kann. Auch in der Kirche gibt es dazu unterschiedliche Ansichten. Die KirchenZeitung hat zwei Persönlichkeiten um ihre Argumente pro und contra Asylobergrenzen gebeten.
Es geht um eine verantwortungsvolle Politik der Begrenzung, nicht um eine Abschottung und nicht um die politische Bedienung einer "Boot-ist-voll-Mentalität": In allen aufnahmefreundlichen europäischen Ländern wird derzeit über die Begrenzung des Zustroms der Flüchtlinge diskutiert. Selbst der deutsche Bundespräsident und ehemalige evangelische Pastor Joachim Gauck hat kürzlich festgestellt, dass eine politische Begrenzungsstrategie nicht "per se unethisch", sondern "moralisch und politisch sogar geboten sein könne".
Die Kritik, dass eine solche Begrenzungspolitik nicht mit christlichen Werten vereinbar sei, verschließt sich vor der Tatsache, dass mit einem unkontrollierten Zustrom von Asylwerbern der gesamte Staat und auch das Gemeinwohl überfordert sein würden.
Keine unzumutbaren Belastungen
Auch Verfassungsrechtler sind sich grundsätzlich einig, dass das Asylrecht gesetzlich beschränkt werden kann. In der Präambel zur Genfer Flüchtlingskonvention heißt es, dass die Gewährung von Asyl keinesfalls unzumutbar schwere Belastungen für das asylgebende Land nach sich ziehen darf. Angesichts der Tatsache, dass sich die Asylanträge in Österreich auf rund 95.000 im Jahr 2015 verdreifacht haben, wurde für 2016 von den Regierungsparteien eine Obergrenze von maximal 37.500 Flüchtlingen im Jahr 2016 im Asylverfahren festgelegt. In Summe sollen bis 2019 zirka 127.500 Asylwerber aufgenommen werden, wobei die im Vorjahr bereits erfolgten 90.000 Asylanträge hier nicht eingerechnet sind.
Österreich muss zur Selbsthilfe greifen
Die jetzt beschlossene strikte Trennung zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen, die Umsetzung von Asyl auf Zeit, die Einschränkung des Familiennachzugs und die verstärkte Rückführung abgewiesener Asylwerber sollen die Attraktivität als Asylland generell senken. Solange nicht europäische Solidarität einkehrt und nicht einmal die bestehenden Verträge eingehalten werden, muss Österreich zur Selbsthilfe greifen. Eine weiterhin unbegrenzte Zuwanderung würde politisch nur den Rechtspopulisten und Fremdenfeinden nutzen.
Helmut Kukacka
Die Chance, die uns geschenkt ist
Wer ist mein Nächster? Mein Freund, mein Nachbar, mein Bruder, meine Cousine? Die Antwort, die Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter gibt, ist eindeutig: der, der meine Hilfe braucht. Alle Versuche, dieses Wort Jesu zu relativieren, entsprechen daher nicht dem Geist des Evangeliums. Das mag unbequem sein, ja mehr noch, es mag uns bis an unsere Grenzen herausfordern. Aber es ist unser Auftrag als Christinnen und Christen in dieser Welt. In dieser Gesinnung müssen wir unsere Verantwortung in der Gesellschaft wahrnehmen; diese Verantwortung endet nicht an der Kirchentür, nicht an der österreichischen Grenze, nicht am Ufer des Mittelmeers und schon gar nicht bei einer bestimmten Zahl, mag sie nun Obergrenze oder Richtwert heißen.
Gebot der Stunde
Natürlich sind uns bei der Verwirklichung dieses Auftrags im Alltag Grenzen gesetzt. So kann ich nicht mehr geben, als ich selbst habe. Es gibt also auch in der Nächstenliebe Grenzen. Ich kann nicht meine eigenen Kinder verhungern lassen, um fremde zu retten. Die Absurdität dieses Beispiels mag zeigen, dass es aber um diese Grenze, deren Überschreitung einer Selbstaufgabe gleichkäme, in der derzeitigen Situation überhaupt nicht geht. Nicht Selbstaufgabe, sondern Teilen ist das Gebot der Stunde. Wir müssen uns verabschieden von einem Leben in Europa, in dem wir es uns gemütlich eingerichtet haben, teilweise durch die Ausbeutung derer, die heute an unseren Grenzen stehen.
Ein neues Antlitz
Es mag wehtun, aber es ist die Wahrheit, die Welt ist nicht mehr so wie sie vor einem Jahr war und sie wird auch nie mehr so werden, mögen wir uns noch so sehr zurücksehnen. Es hat uns hinausgeschleudert aus dem Paradies, das wir uns zurechtgezimmert haben. Was jetzt? Ich glaube, wir müssen begreifen, dass die derzeitigen Umbrüche für uns Christinnen und Christen eine riesige Chance sind, dem ach so christlichen Europa mit seinen leeren Kathedralen, ungelesenen Bibeln und dem um sich greifenden Turbokapitalismus ein neues, ein christliches Antlitz zu geben. Wir sind gefordert, dem Geist Gottes erneut und stärker zum Durchbruch zu verhelfen. Nützen wir die Chance, die uns geschenkt ist.
Gerda Schaffelhofer